Im Herzen Rein
Kollegen hatten ganze Arbeit geleistet, jedes Fach aus- und eingeräumt, jeden Anzug und jede Bluse abgetastet. Der Besuch bei Mendel hatte mehrere Stunden gedauert, und sie fühlte sich ziemlich erledigt, als sie die Wohnung verließen. Anschließend hatte sie das blutbespritzte Hemd noch zur Kriminaltechnik gebracht und um schnelle Untersuchung gebeten. Sie wollte das Ergebnis gleich morgen früh.
Normalerweise drehte sie sich zum Einschlafen immer auf die rechte Seite und zog die Beine an. Jetzt lag sie auf dem Rücken. Sie versuchte abzuschalten und an nichts zu denken, doch immer wieder arbeitete ihr Verstand an der Beweiskette, als stünde sie vor Gericht. Sie hörte Mendels Strafverteidiger fragen, ob sie dem anonymen Anruf auf ihrer Mailbox nachgegangen sei, und überlegte, wie Mendel ihre Nummer herausgefunden haben könnte. Sie hatte die Sprachaufnahme in der KT untersuchen lassen, aber sie wollten sich nicht einmal festlegen, ob es eine Männeroder eine Frauenstimme war. Die Stimme lief so monoton, und die Sprechtakte waren so gleichmäßig, dass der Akustiker annahm, die Nachricht wäre auf einen Computer gesprochen und bearbeitet worden, ehe sie auf Paulas Handy gesendet wurde. Es waren keine individuellen Schwingungen festzustellen. Sie hatte seitdem keinen weiteren Anruf mehr erhalten.
Als sich die Gedanken langsam von ihr entfernten und in einen Traum verwandelten, schreckte sie wieder auf, weil ihr Kasimir mit der Pfote auf das Auge tapste. Wahrscheinlich hatten sich ihre Augäpfel unruhig bewegt.
Ärgerlich scheuchte sie ihn weg. Ihr fiel Bachs These ein, der Täter würde bei der Pressekonferenz erscheinen. Dann auch seine Behauptung, der Täter wäre ein Künstler, und Heiliger tauchte vor ihr auf. Bach hatte sich selbst an der Aktion gegen Heiliger beteiligt - man hatte einen Unschuldigen zusammengeschlagen. Sicher war dem FBI-erfahrenen Profiler das jetzt peinlich, dachte sie, und sackte endlich in den Schlaf.
41
Als Paula morgens wach wurde, fühlte sie sich immer noch angeschlagen. Sie war aufgewacht, obwohl der Wecker noch nicht geklingelt hatte, und drehte sich, mit einem neidischen Blick zu Ralf, der tief und fest schlief, noch einmal auf die Seite. Dann fiel ihr wieder Sieglinde Mendel ein, und sie wurde hellwach.
Sie ging ins Bad, hüpfte unter die eiskalte Dusche und stieß kurze Schreie aus. Danach rubbelte sie sich warm und trank in der Küche ihren heißen Tee. Hunger hatte sie noch nicht.
Als sie ins Büro kam, erwartete Marius sie schon. Er machte sich gerade einen Kaffee und sah aus, als ob er Neuigkeiten hätte.
Sie schaute neugierig in die Tüte, die vor ihm lag: zwei Amerikaner. Wie selbstverständlich bediente sie sich und nahm, während sie kaute, zur Kenntnis, dass Boldt Mendel tatsächlich zur fraglichen Zeit angerufen hatte.
»Er wollte sich mit ihm zum Squash verabreden.«
»Aber?«, fragte sie mit vollem Mund.
Marius griente. »Aber er hat die Nachricht nur auf dem Anrufbeantworter hinterlassen können.«
»Bei der Hausdurchsuchung war keine Nachricht drauf. Meinst du, Boldt lügt?«
»Dass er den Anrufbeantworter dran hatte, in Wahrheit aber Mendel persönlich?«
»Wohl kaum.«
»Dass er gar nicht angerufen hat, also auch nichts auf dem AB hinterlassen hat?«
»Das macht keinen Sinn.« Paula schüttelte den Kopf.
»Er hat die Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, Mendel hat sie irgendwann abgehört, tut uns gegenüber aber so, als hätte er direkt mit Boldt gesprochen. Das nutzt ihm doch, er denkt, so hat er ein Alibi.«
»Ein ziemlich dummer Versuch.«
»Ich glaube, der hat nicht damit gerechnet, dass er verhaftet wird. Er ist auf diese Situation nicht vorbereitet. Er kann zwar gut planen, aber wenn dann plötzlich etwas schiefgeht, kommt er nicht klar damit.«
»Wie ist nun also Stand der Dinge?«
»Wir können Mendel zwar nicht beweisen, dass er Johanna Frenzi ins Kino gebracht hat, aber er kann Boldts Anruf nicht als Entlastung benutzen.« Marius schaute in seine Notizen. »Mendels Aussage, seine Frau gehe sonntagabends regelmäßig zum Hallentennis, stimmt allerdings. Sie hat das bestätigt, und ich habe es auch im Club überprüft. Es gibt mehrere Zeugen dafür. Für ihn bedeutet das allerdings: Er hat kein Alibi.«
Marius hatte außerdem noch eine Nachricht, und sie war der Grund für seine gute Laune. Beim Durchgehen der OP-Termine mit der Sekretärin in der Chirurgie hatte sich ergeben, dass Mendel zu den Zeiten, die für die
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