Im Herzen Rein
kommen.
Wenig später trat Neuenfeld ein, und sie erklärten ihm die Sachlage. Er stand da und schwieg.
Er hatte schon zweimal vor dem Eisenschrank gestanden und auf die großen Hängefotos der Opfer geschaut, war im Atelier herumgewandert und stoppte jetzt vor dem Tisch, die Hände auf dem Rücken. Den Kopf hatte er gebeugt und betrachtete das Foto im Kino. »Und wenn der Polizeifotograf es ihm verkauft hat? Für einen kleinen Nebenverdienst?«
»Unmöglich. Ich kenne Scholli seit Jahren. Aber natürlich habe ich ihn herbestellt.«
Im gleichen Augenblick kam Scholli herein. Er begutachtete das Handyfoto und die Vergrößerung und war sicher, dass die Aufnahme im Filmpalast gemacht worden war, als das Licht im Saal an war.
»Aber das muss dann doch jemand aus dem Publikum gesehen haben«, sagte Neuenfeld.
»Nicht mit dem Handy und nicht bei einem so cleveren Täter wie unserem«, erwiderte Scholli.
Neuenfeld legte die Hände auf die Tischplatte, beugte den Kopf noch dichter über das Foto und betrachtete es konzentriert. »Das ist total schräg«, murmelte er. Er richtete sich auf, wandte sich Paula zu und sagte: »Das wird ein großer Fall. Ein sehr großer Fall. Worauf warten Sie noch?«
Paula hatte jetzt schon das dritte Mal lange geklingelt, aber es rührte sich nichts. Der Mann vom Schlüsseldienst war wieder da, und Paula gab Order, Heiligers Wohnung zu öffnen.
Geräuschlos gingen sie von Zimmer zu Zimmer und stießen die Türen auf.
Durch die Fensterfront fiel mattes Licht vom Hinterhof herein. Die Wohnung war leer.
Paula nahm an, dass die Feier im Felix lange gedauert hatte. Sie rief im Adlon an und fragte, ob sich Josef Heiliger ein Zimmer genommen habe. Das Adlon und das Felix befanden sich in demselben Gebäude. Man wollte ihr am Telefon keine Auskunft geben. Sie ließ die anderen die Hausdurchsuchung alleine weitermachen und fuhr mit Marius und Neuenfeld ins Adlon.
In den Polstermöbeln der Lobby saßen amerikanische Gäste, die Herren in karierten Anzügen und farbigen Hemden, die Damen onduliert und mit Gold behängt. Ein paar japanische Geschäftsleute mit Dokumentenkoffern hielten ein Meeting ab. In der Mitte plätscherte der Springbrunnen. Erst als sie an der Rezeption Druck machte und sich als Leiterin der Mordkommission auswies, wurde ihr gesagt, dass Heiliger eine Suite gemietet hatte.
Als Paula an der Tür zur Suite klopfte, öffnete Heiliger, offensichtlich noch verschlafen. Er trug einen schwarzen Morgenrock mit einem roten chinesischen Drachen, der vom Rücken über die Schultern bis zum vorderen Gürtel reichte.
Er kniff die Augen zusammen. »Sehe ich richtig? Paula, die Frau meines Künstlerfreundes?« Sein Sarkasmus war deutlich. »Ist dies ein privater Besuch?«
»Für Sie bin ich Kriminalhauptkommissarin Zeisberg.«
Sie deutete nach rechts. »Das ist Staatsanwalt Dr. Neuenfeld. Josef Heiliger, Sie sind verhaftet.«
»Wegen?«
»Mordes in drei Fällen. Sie haben es gestern ja bereits auf Ihrer Veranstaltung verkündet.«
»Drei Fälle habe ich verkündet?«
Paula holte das Polizeifoto von Antonia aus der Mappe und hielt es ihm hin.
Heiliger starrte auf die Frau, die sein Kind erwartet hatte. Es war so still, dass es Paula in den Ohren dröhnte.
Plötzlich schrie Heiliger los. »Das Leben ist absurd, dramatisch und böse! Ich wusste das immer schon.« Er schmetterte sein Handy gegen die Wand und riss beide Arme hoch.
»Du musst ihren Blick nur auf etwas anderes konzentrieren, damit sie dich nicht mehr sehen!«, sagte er mit kalter Stimme. »Halte ihnen den Spiegel des Todes vor, und sie starren mit lustvollem Entsetzen hinein.«
»Ist das ein Geständnis?«, fragte Paula.
»Ich soll ein Geständnis bieten? Menschen finden selten zu ihren Instinkten. Ab und zu gelingt es einem Künstler, die Textur des Lebens zu verdichten. Heutzutage gibt es da nur mich. Die anderen warten darauf, dass etwas geschieht, aber ich bin das Geschehen! Dazu muss man frei sein, ohne Einschränkungen, weder moralisch noch religiös. Das Leben ist eine Abfolge von Empfindungen, die irgendwann aufhören.«
»Haben Sie sich frei gefühlt, als Sie dafür sorgten, dass Silvia Arndts Empfindungen irgendwann aufhörten ?«
Er ging auf Paula los, die beiden Polizisten packten ihn. Er schrie: »Geben Sie mir das Foto! Geben Sie es her!«
»Führt ihn ab«, sagte Paula und legte das Foto in die Mappe zurück.
51
Als Paula ins Büro zurückkam, rief sie sofort Chris an, die sich immer noch
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