Im Herzen Rein
nicht gemeldet hatte, und hinterließ ihr nochmals eine Nachricht, sie solle sich dringend melden.
Ulla hatte voller Besorgnis zugehört und wünschte Paula eine erfolgreiche Vernehmung.
»Das wird schwierig«, erwiderte Paula. »Er ist der Typ, der schon bei den Formalien ausrastet. Wann sind Sie geboren? - Was spielt das für eine Rolle, warum fragen Sie nicht, wie lange ich noch leben werde? So diese Ecke.«
»Na dann viel Spaß.«
Marius kam grinsend herein. Paula wusste sofort, dass er eine Überraschung brachte. »Was hat er sich diesmal ausgedacht?«
»Er hat gedroht, kein einziges Wort zu sagen, wenn ihm nicht eine Bedingung erfüllt wird.«
»Vier Anwälte?«
»Nein. Er ist viel intelligenter als diese akademischen Affen, die sich nur in seinem Ruhm sonnen. Nein, er besteht darauf, dass alles per Video aufgezeichnet wird und er eine Kopie bekommt.«
Paula konnte nicht anders, sie musste laut lachen, und Ulla rief: »Wunderbar. Das ist doch genau das, was wir wollen!«
Es klopfte. Das war der Schutzpolizist, der Heiligers BlackBerry brachte. Er überreichte ihn Marius in einer Plastiktüte und ließ ihn sich quittieren.
»Hat ja gut geklappt«, sagte Marius. »Ich habe mit der Spurensicherung in Heiligers Hotelzimmer telefoniert, damit sie nach so einem Ding suchen. Jetzt haben wir all seine Telefonnummern und Termine.« Er steckte es ein. »Ach, beinahe hätte ich das Allerwichtigste vergessen: Heiligers Bild ist gegen zwölf Uhr versteigert worden, eine Angestellte und auch der Auktionator haben sich erinnern können aufgrund des Katalogs, in dem die Reihenfolge der Exponate verzeichnet ist.«
»Wenn er danach sofort losgefahren ist, hat er also um 14.30 doch im Guggenheim sein können. Die Schlinge zieht sich langsam zusammen.« Sie schlug vor, gleich mit der Vernehmung zu beginnen.
»Möchtest du vorher noch einen Kaffee?«, fragte Ulla.
»Danke, jetzt keinen Kaffee.« Paula ging mit Marius hinunter in den Verhörraum, wo Heiliger von zwei Uniformierten bewacht wurde. Marius gab dem Kollegen im Nebenraum Bescheid, mit der Aufzeichnung zu beginnen, während sich Paula Heiliger gegenübersetzte.
Er war wie ausgewechselt, ruhig und konzentriert. Sie fragte sich, ob er auf Drogen untersucht worden war. Er trug einen schwarzen, gut geschnittenen Anzug mit weißem Hemd. Paula dachte an Saddam Husseins schwarzen Anzug, den er während der Gerichtsverhandlungen getragen hatte. Sie hatte dieses schmucke Gefieder immer als das Relikt seines schwarzen Regimes gesehen.
»Mein Kollege, Herr Seefeld, hat Sie über alles informiert?«
Heiliger nickte.
»Haben Sie Ihre Lebensgefährtin Antonia Hartmann auf dem Foto wiedererkannt, das ich Ihnen im Hotel zeigte?«
Er schwieg. Sie kannte diesen bohrenden Blick von ihm. Ralf hatte ihn sogar mal mit dem eindringlichen Blick Picassos verglichen.
Marius hatte vorgeschlagen, unmittelbar mit den Alibis zu beginnen. Sie wollte aber erst einmal einen Kontakt herstellen und ihm deutlich machen, dass es ihr erstens um die Sache ging, auch wenn ihr Lebenspartner Ralf sein Kollege war - und zweitens darum, dass sie keine dumme Polizistin war, die seine Worte oder Lebensweise nicht verstand. Er musste sie auf demselben Niveau anerkennen, sonst war bei so einem Typ wie ihm nichts zu holen.
»Ich war gestern auf Ihrer Party -«, begann sie.
»Shit happens«, sagte er, ohne seine Haltung zu ändern.
»- und habe Ihre Ansprache gehört.« Er schwieg. »Auf der Treppe haben Sie gesagt, dass das Leben seine Lebendigkeit verliert, wenn der Tod aus unserer vom Jugendwahn besessenen Gesellschaft verbannt wird.«
Sein Blick blieb stoisch. Marius verfolgte mit wachen Augen, wie sie die Sache anging.
»Sie sagten, Sie hätten uns den Tod - oder die Erinnerung an seine Allgegenwärtigkeit - durch Silvia Arndt und Johanna Frenzi zurückgebracht.«
»Ich sagte, ich würde es tun. Ich bezog mich auf die Installation, an der ich arbeite: Die Frau im blauen Kleid .«
»Es waren aber zwei. Zwei Frauen. Bis heute Morgen.«
»Es ist immer das gleiche Kleid, es ist immer der gleiche Tod. Das ist eine Metapher: Der Tod wird lebendig in der jungen Frau im blauen Kleid.«
Wenn dieser Mann seine schwangere Freundin vor ein paar Stunden umgebracht hatte und nun so darüber sprach, dann hatte Paula so etwas noch nicht erlebt. Ihr wurde immer klarer, wie bedeutsam diese Reaktionen für die Beurteilung seiner Persönlichkeit waren, und sie bedauerte, dass sie Bach nicht informiert hatte.
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