Im Herzen Rein
Natürlich nahmen sie alles auf Video auf, aber der Eindruck war doch unmittelbarer, wenn Bach die Vernehmung hinter dem durchlässigen Fenster mitverfolgen könnte. Auch auf die Gefahr hin, den Fluss des Gespräches zu bremsen, bat sie Marius, Bach zu verständigen. Sie schrieb es auf und gab ihm den Zettel.
Er las ihre Notiz und verließ den Raum.
Paula gab vor, die Anwesenheit ihres Kollegen habe sie im Moment gestört.
»Haben Sie ihm aufgeschrieben: ›Verpiss dich, du Schleimbeutel! ‹?«
»Nein.«
Heiliger blieb abweisend. Er gähnte und riss den Mund auf, als wollte er alles verschlingen. Sie erinnerte sich daran, was Marius über den Schrei bei Poussin gesagt hatte.
»Diese Gesichtsverzerrung steht Ihnen nicht«, sagte sie kühl.
»Es gibt keine Schönheit, die nichts Seltsames in der Proportion besitzt«, kam es spöttisch zurück.
Aber sie ließ sich nicht provozieren. Nur wenn sie auf Distanz blieb, konnte sie den Gegner besiegen. Sie hatte in seinem Atelier Springmesser und beidseitig geschliffene Stichwaffen gesehen. Aber ihre Kollegen hatten ihn natürlich gefilzt, bevor sie ihn in den Verhörraum brachten. »Was interessiert Sie an Proust?«
Sie hatte verschiedene Ausgaben von Proust in seinem Atelier gesehen.
Er schien nicht überrascht über ihre Frage. »Mich interessieren Prousts tiefe Einblicke in das quälende Phänomen der Eifersucht.«
»Er kannte das Leiden der Eifersucht. Eines der großen Mordmotive«, sagte sie.
Er reagierte nicht.
»Wie war das Verhältnis zu Ihrem Vater?«
»Ich verbinde mit ihm Gefühle der Bewunderung, er war damals stärker als ich.« Das klang sehr abgeklärt. »Ihm verdanke ich die Sehnsucht, das Symbol der Tyrannei zu demontieren und zu zerstören.«
»Tyrannei, sagen Sie. Verkörperte Ihr Vater das Gesetz für Sie?«
Sein Gesicht verdunkelte sich. »Das Gesetz, ja. Und die Setzung von Grenzen bis in die kleinsten Alltäglichkeiten hinein.«
Paula wusste, dass Gewalttäter, die in ihrer Kindheit und Jugend nicht gewagt hatten, gegen ihren Unterdrücker anzugehen, es später oft nachholten, indem sie das Gesetz brachen, als Versinnbildlichung des despotischen Vaters. Sie hatte gelernt, dass es zwei Paar Schuhe waren, ob ein Killer die Frau meinte oder ob er sie nur dazu benutzte, das Gesetz zu brechen, indem er sie schlug und tötete. Dieser Täter brauchte die Wut zum Aufruhr, aber eigentlich attackierte er das Gesetz. Es hätte auch eine andere Frau sein können, die er umbrachte. Nach dem, was Marius über die Kindheit Heiligers herausgefunden hatte, und nach all den Provokationen des Künstlers, die sie selbst schon erlebt hatte, schien sein Thema die Revolte gegen den Vater zu sein. Aber würde er da nicht Männer umgebracht haben? Bach fehlte. Und wo blieb Marius?
»Wie war Ihr Verhältnis zur Mutter?«
»Sie steckte hinter allem. Sie machte ihn zum Hampelmann«, sagte er hart.
Paula zog fragend die Augenbrauen hoch.
Im gleichen Ton sagte er: »Sie steuerte sein Verhalten mittels ihrer Sexualität. Ein Bonussystem des Entzugs und der Zuteilung.«
»Warum sind Sie Maler geworden?«
»Edgar Degas hat es so gesagt: Ein Bild erfordert ebenso viel Schurkerei, Gaunerei und Betrügerei wie ein Verbrechen.« Sie sah, wie er sie mit einem überlegenen Lächeln musterte.
Marius kam wieder herein und nickte ihr kurz zu, was Heiliger nicht entging.
»Sie malen aber nicht mehr, sondern machen Installationen. Und Sie leben nicht schlecht davon, wie ich an Ihrem großen Atelier sehen konnte.«
Heiliger hob abwehrend die Hand und zeigte dabei seine teure Armbanduhr. »Ich teile Leonardos Überzeugung nicht, dass kleine Räume den Geist konzentrieren, und bewundere auch nicht Giacomettis Lebensstil, mit dem er einsiedlerhafte Armut zelebrierte.«
»Sie formulieren sehr genau.«
»Ich bin rücksichtslos präzise.«
»Sie würden vor nichts zurückschrecken, wenn es nur außergewöhnlich genug wäre.« Er musste wissen, dass Paula die Morde meinte. Sie merkte, wie auch Marius auf die Antwort wartete.
»Das Leben ist so sinnlos, dass wir ebenso gut versuchen können, außergewöhnlich zu sein«, antwortete Heiliger.
»Warum malen Sie nicht mehr?«
»Es ist alles gemalt worden. Darstellungen geschundener Körper von brutalen Liebesakten, Gesichter, geschwollen vor Lust, verzerrt vor Angst, eingefallen durch Alkohol - die Zeiten sind vorbei. Das können Sie Ralf sagen.« Er lachte auf. »Meine Installationen sollen auf eine Art so genau sein, dass
Weitere Kostenlose Bücher