Im Herzen Rein
Absperrung gesprungen war.
Sie hörte ihn leise lachen.
»Warum lachst du?«
»Wegen einer Erinnerung. Ich habe einen Fall in Denver, Colorado, gehabt, wo der Täter die Polizei am Tatort mit einer Videokamera gefilmt hat. Er ist dann über die Absperrung gestiegen und hat einen der Polizisten gebeten, ihn zusammen mit der Leiterin der Ermittlung aufzunehmen. Der Beamte wollte nicht, aber der Täter beteuerte, das sei sein Lebenstraum. Er versprach, der Polizei auch eine Kopie zu schicken, und drängelte so lange, bis die Leiterin zustimmte und ihm seinen Wunsch erfüllte. Er hat tatsächlich eine Kopie der Videoaufnahme geschickt. Diese Aufnahme war es, die später half, ihn zu überführen.«
»Du meinst, wenn sich der eine Täter filmen lässt, kann ein anderer Täter auch seine Visitenkarte dalassen?«
»Aufgrund dieser Erfahrung schließe ich das nicht aus. Wie hat denn der Leiter der Mordkommission darauf reagiert?«
»Leiterin. Paula Zeisberg. Aber die war im Urlaub. Ihr Vertreter, Herbert Justus, schien solche Zwischenfälle gewöhnt zu sein. Sie haben ihn einfach aus dem Sperrbezirk hinausbefördert und fertig.«
»Und ist dir sonst noch etwas aufgefallen? Hat er etwas gesagt, oder konntest du aus seiner ganzen Haltung noch etwas ablesen?«
»Ich erinnere mich an seine Worte: Ich muss Ihnen etwas Wichtiges sagen.«
»Dann würde ich ihn anrufen und fragen, was er zu sagen hat.«
»Das wäre eigentlich Aufgabe der Ermittler. Ich habe die Sache Paula Zeisberg auch schon erzählt, aber sie war wenig beeindruckt. Sie meint, es kommt immer wieder vor, dass Passanten die Absperrung überspringen; ihrer Erfahrung nach ist das reine Wichtigtuerei.«
»Ruf ihn selbst an, privat. Du bist eine attraktive Frau, vielleicht interessierte ihn auch nur das.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber er wird auf einem persönlichen Treffen bestehen. Und da würde ich mich nicht wohlfühlen.«
»Verstehe ich. Verabrede dich mit ihm an einem Ort, wo genügend Menschen sind, dann würde ich kein Risiko darin sehen. Die Wahrscheinlichkeit ist schon groß, dass er nichts weiter als ein Verrückter ist, der sich vor dir wichtigmachen wollte. Da wird Frau Zeisberg schon recht haben. Sollte sich aber doch etwas anderes ergeben, dann kann sie sich der Sache annehmen. Im Moment sieht es so aus, als ob dich die Ermittler nicht ernst nehmen.«
Das stimmte, schon der Gedanke ärgerte sie. Aber Bach hatte recht - falls der Jogger, Josef Heiliger, Hinweise zu dem Fall gäbe, könnte das Team ihn sich dann vorknöpfen.
Nach diesem Gespräch fühlte sie sich leichter. Es hatte sie beruhigt. Ihre Zweifel, die Nummer morgen anzurufen, waren beseitigt. Sie erinnerte sich jetzt auch daran, dass sie bedrohliche Dinge direkt angehen musste, damit sie nicht zu Gespenstern würden. Statt sich etwas einzubilden, musste sie auf das Problem zugehen, das war auch sonst ihre Erfahrung. Sie hatte in einer Untersuchung gelesen, dass die meisten Menschen durch ihre Fantasien und Projektionen zum Opfer würden. Das wollte sie auf keinen Fall. Daher war sie sogar froh, dass sie für diesen Fall zuständig war und nicht durch die Presse oder aus zweiter Hand davon erfahren hatte und dann keine Möglichkeit gehabt hätte, sich einzuschalten. Vielleicht war diese Parkbank am Spreekanal ein Zufall und der Jogger nur ein harmloser Wichtigtuer. Vielleicht aber war sie wirklich in Gefahr. Und dann könnte sie sich nur selbst helfen.
Ihr kam ein naheliegender Gedanke, den ihre Ängste nur überlagert hatten. Vielleicht würde sie Josef Heiliger im Internet finden. Sie war überrascht, wie viele Treffer der Name bei Google erzielte.
Josef Heiliger war ein erfolgreicher Künstler. Er machte Installationen, früher hatte er gemalt. Geboren war er am 17.2. 1970 in Oberhausen, sein Vater war Bergarbeiter. Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit war er im Moment der Herausforderer in der Kunstszene. »Die Welt braucht Rebellen wie mich. Die Worte Angst, Problem, Harmonie und Stumpfheit habe ich schon in der Jugend aus meinem Vokabular verbannt.« Der Leitsatz seiner Kunst lautete: Wahrgenommene Wirklichkeiten sind Produkte medialer Täuschungsmaschinerien.
Sie überlegte, was er damit meinte. Alles, was sie sah, war eine Täuschung? Die Frau im blauen Kleid auf der Parkbank war gar nicht tot? Oder gar nicht da?
Blödsinn, dachte sie und las weiter.
Kritiker sahen ihn als authentischen Künstler. Die Titel seiner Werke waren provokant:
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