Im Herzen Rein
war voller Menschen, es ging zu wie in einer heiß begehrten Disco. Die Besucher hatten sich hineingezwängt, aber gerade war eine Gegenbewegung entstanden, die die letzten wieder auf die Straße zurückdrückte.
Sie wollte schon aufgeben, als jemand neben ihr fragte, ob sie den Sturm auf die Bastille noch einmal versuchen wolle oder ob sie lieber gemeinsam ein ruhiges Plätzchen aufsuchen sollten. Sie hatte ihn nicht bemerkt. Er stand neben ihr - volle Lippen, ausdrucksstarke Augen, das Haar halblang, in einem gut geschnittenen schwarzen Anzug, mit schwarzem Stehkragenhemd darunter.
Er schaute auf die Uhr. »Pünktlich wie die Staatsanwälte«, stellte er spöttisch fest.
Am Telefon hatte er auch bereits ihren Namen gewusst, obwohl er in den Medien nicht erwähnt worden war. Sie hatte das überprüft. Was wusste er noch von ihr?
Ihr war es recht, dass sie nicht hineinkamen, so würde sie schneller ihre Informationen bekommen und könnte Bach vielleicht noch treffen.
»Lassen Sie uns hier draußen bleiben. Das ist besser, als sich drinnen gegenseitig zu zerquetschen.«
»Wie Sie wünschen.« Immer wieder grüßten ihn Leute, die neu hinzukamen und ebenfalls draußen bleiben mussten, und wenn sie nicht grüßten, schauten sie herüber und sprachen über ihn.
Josef Heiliger. Chris hatte den Namen noch nie gehört, aber das bedeutete nichts, denn in der letzten Zeit hatte sie sich um die Kunstszene nicht kümmern können.
»Sie können mir etwas über den Mörder sagen?«
Er grinste. »Ich kann Ihnen sagen, dass ich nichts über ihn weiß.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Als Sie mir Ihre Visitenkarte in die Hand drückten, sagten Sie, Sie hätten mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Deswegen sollte ich anrufen.«
Er wurde ernst. »Ich war beeindruckt von dem, was ich da sah. Im ersten Moment hielt ich es für eine Installation.«
»Im ersten Moment?«
»Ja. Ich bin da schon mal vorbeigelaufen, als noch keine Polizei da war, und ich war erstaunt, dass dort jemand eine Installation aufgebaut hatte. Offen gestanden, hielt ich es für ein Kunstwerk.«
Sie musterte ihn, aber er war völlig ernst.
»Das müssen Sie mir erklären«, sagte sie.
»Zuerst dachte ich, da sitzt eine Frau und füttert Tauben, aber als ich näher kam und sich nichts bewegte, nicht mal die Tauben, wusste ich, dass es eine Installation ist. Ich lief ziemlich schnell, wollte nicht anhalten und dachte, das sehe ich mir auf dem Rückweg genau an, und als ich zurückkam, war da der Menschenauflauf. Ich war überrascht, dass die Installation an diesem Platz so einen Erfolg hatte. Aber dann erfuhr ich, was da geschehen war.«
»Gut. Und warum haben Sie mir dann Ihre Visitenkarte gegeben?«
»Ich wollte Sie wiedersehen.« Er flirtete mit ihr, und in einer anderen Situation hätte es ihr gefallen.
»Wann sind Sie das erste Mal dort vorbeigekommen?«
»So um acht.«
»Und da hielten Sie die Frau mit den Tauben für eine Installation.«
Er grinste. »Sie bewegte sich nicht. Und Tote liegen normalerweise ja irgendwo im Gebüsch, oder?«
»Nicht immer, wie Sie sehen.«
»Jedenfalls erwartet man nicht so eine Tote. Aber auch ein Kunstwerk zeigt nicht das, was man erwartet. Im Gegenteil - es will überraschen, Nachdenken und Schock auslösen.« Er sah ihr fest in die Augen. »An diesem Aufbau war alles präzise und kalkuliert - bis hin zur Positionierung der Tauben. Das sind Merkmale einer Installation. Sie schöpft das Äußerste an Planung für die Wirkung aus. Nicht nur das Konzept muss super sein, sondern auch die Ausführung. Kunst fordert Akkuratesse.«
»Ich spreche von Mord und Sie von Installation.«
»Deswegen sind Sie doch gekommen, damit ich Ihnen erkläre, was eine Installation ist. Am besten an einem praktischen Beispiel und am besten an einem, das Sie anspricht.« Grinsend setzte er hinzu: »Oder das Sie aufregt.« Er zog sie zur Eingangstür der Galerie. »Mit Aufregung und Empörung setzt auch das Interesse ein.«
Er machte einen hellwachen und nüchternen Eindruck, und wie sie sehen konnte, hatte er auch Erfolg. Er war keiner, der Dinge um sich herum nicht richtig einschätzen konnte. Sie mochte seine Provokationen nicht. Unter anderen Umständen hätte sie nicht zugelassen, dass er so mit ihr sprach. Doch sie wollte ihn so viel wie möglich reden lassen. »Wenn Sie den Ort ringsherum mit einbeziehen, begreifen Sie, was eine Installation ist. Stellen Sie sich vor, die Parkbank hätte in der Neuen Nationalgalerie
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