Im Herzen Rein
ragten. Dann wurden auch diese überspült. Die langen Haare der Frau schwebten um sie herum, das Wasser stieg weiter, und die Bewegungen des Paares erstarben.
»Überlebt die Frau?«, fragte Chris provozierend.
Heiliger konterte: »Sie würden unter meinen Händen auch nicht sterben.«
»In dem Becken da?«
»Oder auf der Parkbank.« Er lächelte charmant.
15
Die Leuchtschrift Filmpalast zog sie an. Sie hatte sich von Heiliger verabschiedet, als das Wasser im Becken wieder bis auf den Grund gefallen war und das Liebespaar sein Spiel von Neuem begann.
Sie war langsam zum Ku’damm gegangen, hatte keine Lust, direkt nach Hause zu fahren. Die Begegnung mit dem Künstler hatte ihr zugesetzt.
Ihr war bewusst, dass sie neben allem anderen noch das Problem hatte, Paula nicht von dem Treffen mit einem wichtigen Zeugen erzählt zu haben. Sie hatte gehofft, etwas Konkretes, Belastendes oder Entlastendes zu finden. Aber die Sache war in der Schwebe geblieben. Sie war keinen Schritt weitergekommen. Für sie war es ein Widerspruch, dass jemand seine Spuren so raffiniert verbarg, sich dann aber den Ermittlern per Visitenkarte präsentierte. Könnte jemand so planvoll und zugleich so plump sein?
Während sie die Menschen auf der Straße beobachtete, versuchte sie sich zu entspannen. Sie spürte ihren schmerzenden Nacken und bewegte den Kopf hin und her. Sie wollte sich ablenken, aber ihre Gedanken blieben bei Heiliger. Sie wusste natürlich, dass Serienmörder oft auf sich aufmerksam machen wollten. Aber bisher war es nur eine Behauptung Bachs, dass es sich um einen Serienmörder handelte.
Sie stand nun vor dem Kino und ging an den erleuchteten Schaukästen mit den Filmfotos vorbei zur Kasse. Der Verkäufer blickte nur kurz auf, als er den Preis nannte. Der würde sich weder an sie noch an irgendeinen anderen Besucher erinnern.
Im Foyer holte sie sich ein Bier und eine Tüte Popcorn. »Läuft der Film gut?«
»So wie heute ist es jeden Abend«, sagte der Verkäufer freundlich.
Eine ältere Dame riss die Karte ab und wünschte viel Spaß.
Drinnen war es so dunkel, dass sie stehen blieb. Als die Werbung begann, hatte sie genug Licht, um die Sitzreihen mit den Umrissen der Zuschauer zu sehen. Sie ging langsam nach vorne, bis dahin, wo niemand mehr saß, und nahm am Rand Platz. Sie wollte nicht alleine in der Mitte sitzen. Sie achtete nicht auf die Werbung. Ihre Füße waren vom langen Stehen auf der Vernissage heiß und angeschwollen. Sie zog ihre Schuhe aus und legte sie umgekehrt auf die beiden Lehnen des Vordersitzes, damit sie sie anschließend nicht suchen musste. Die Bilder auf der Leinwand lenkten sie ab, sie atmete auf und rutschte im Sitz herunter, sodass sie ihren Kopf aufstützen konnte. Dann streckte sie die Beine aus, und ein Schuh fiel herunter.
Aber die Ablenkung hielt nicht an. Sie musste wieder an Silvia Arndt denken, an das Jugendfoto, das neben den Obduktionsfotos in der Akte lag, und daran, dass dieses Kino hier ihre letzte Station im Leben gewesen war.
Sie drehte sich um, das Kino war gut gefüllt. Die Zuschauer saßen oft zu zweit, meistens mit einem freien Platz zu ihren Nachbarn rechts und links. Die Reihen hinten waren dicht besetzt. Es war unwahrscheinlich, dass sich jemand einen Fremden merken würde. Der Aufwand, die Kinobesucher aus Silvia Arndts Vorstellung per Medienaufruf zu suchen, würde sich nicht lohnen. Als nach der Werbung das Kino noch mal hell wurde, sah sie sich erneut um und war sicher, dass sie später niemanden wiedererkennen würde.
Dann begann ein Liebesfilm, der sie kalt ließ. Sie fand, dass man schon ziemlich einsam sein müsste, um von diesen Hollywoodklischees berührt zu werden. Aber vielleicht waren gerade Frauen mit solchen Sehnsüchten Opfer von Männern, die sie geschickt zu bedienen vermochten. War Heiliger nicht jemand, der sich mit Wirkungen, Effekten und Verführungen beschäftigte?
Sie ging während des Films hinaus. Dabei versuchte sie, sich in Silvias Situation zu versetzen. Wo könnte der Täter sie angesprochen haben? Auf der Straße? Sie blieb stehen. In welche Richtung könnte sie gegangen sein? Sie hatte keine Ahnung. Alles war möglich.
Zu Hause stellte sie den Fernseher an, aber ohne Ton, und machte sich in der Küche einen Salat. Als die Tagesschau begann, stellte sie den Ton an. In dem Beitrag über das Verbrechen, das das ganze Land beschäftigte, zeigten sie Silvia Arndt, wie sie auf der Parkbank saß. Dann berichteten sie mit ein paar
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