Im Herzen Rein
Sie haben Sand reingefüllt und ihn auf die Bank gestellt. Könnte sein.«
Chris nickte. »Ein paar Meter weiter ist ein Spielplatz.«
»Na, siehst du.«
»Aber jetzt im Kino stand neben der Toten so eine ähnliche Handtasche, wie ich sie habe.«
»Hattest du sie denn auch mit, als du nach der Vernissage dort warst?«
»Ja.«
Etwas in Paula wehrte sich, es zu glauben. Sie dachte an Kinder, die alles bis ins kleinste Detail erfinden, damit man ihnen eine unglaubwürdige Geschichte abnahm. »Welches Parfüm hattest du benutzt?«
»Chanel N° 5.«
Das irritierte Paula. Bleich und klein saß Chris vor ihr, das weißblonde Haar wie eine Kappe um den Kopf, aus der einzelne Strähnen sperrig abstanden, die Lippen rot, die Augen dunkel. Irgendwie kam sie ihr vor wie ein Kind im Waisenhaus, das sich nicht mehr gegen Strafen zu wehren wagte. Die Schultern so schmal, dass man die siegreiche Tennisspielerin nicht mehr vermuten würde, die sie in Wirklichkeit war.
»Vor fünf Jahren hat mich schon mal ein Mann verfolgt. Als ich noch in der Uhlandstraße wohnte. Damals kannten wir uns noch nicht. Immer, wenn ich aus dem Haus kam, hat er auf mich gewartet. Manchmal auch in der Tiefgarage in der Nähe meines Autos.«
»Und?«
»Dann bin ich umgezogen.«
»Ist er dir gefolgt?«
»Nein.«
»Vielleicht waren das Zufälle. Oder er hat sich dann ein neues Opfer gesucht. Spanner sind keine Mörder. Aber wenn du willst, können wir ihn aufspüren und überprüfen.«
»Sollte man auf jeden Fall machen.« Sie überlegte einen Moment. »Natürlich sage ich mir auch dauernd, das kann alles Einbildung sein. Da sitzen jeden Tag Spaziergänger, einige von ihnen füttern auch Tauben. Von denen wird sich keiner angesprochen fühlen, sonst hätten sie sich ja schon gemeldet. Aber seit ich im Kino vor der Toten stand, die auf demselben Platz saß wie ich, in derselben Haltung, auch mit Schuhen auf der Lehne vom Vordersitz, seitdem kann ich nicht mehr an Zufall glauben. Du, Paula?« Chris’ Augen waren rot vor Angst oder Wut.
Paula begriff das alles noch nicht richtig. Vor ihr saß ihre Freundin, die die leitende Staatsanwältin war, und erzählte ihr etwas von Imitation. Wenn alles so stimmte, wie sie es darstellte, würde es Paula allerdings auch für möglich halten, dass der Täter die Staatsanwältin kopierte, die dann seinen diabolischen Schachzug am Tatort selbst entdecken und entschlüsseln sollte. »Ziemlich abgefeimt«, dachte sie laut.
»Wer?«
»Dieser Killer natürlich. Warum tut er das?«
»Um mir Angst zu machen.«
»Nehmen wir mal an, jemand hat dich tatsächlich kopieren wollen, um dich in Angst zu versetzen. Dann hätte er wissen müssen, dass du am Tatort erscheinst und nicht dein Kollege. Richtig?«
»Ja«, bestätigte Chris. »Dieser Punkt spricht eigentlich gegen meine Theorie, denn ich hatte gar keinen Dienst, sondern Neuenfeld. Und nur weil seine Mutter in der Nacht überraschend in die Klinik kam, war er gleich nach Frankfurt gefahren. Außer dem Großen Lagedienst, bei dem er sich abgemeldet hatte, wusste niemand davon.«
Paula sah das auch als entscheidendes Argument gegen Chris’ Verdacht.
Sie erhob sich und ging auf und ab. Sie musste sich bewegen. Sie verstand nicht, in was sie hier hineingeraten waren. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Du hättest mich für verrückt gehalten. Schon ohne dass du wusstest, was mit mir los war, erschien ich dir merkwürdig.«
»Kunststück. Du musst dich ja ziemlich beschissen gefühlt haben. Und außerdem kenne ich dich - so was entgeht mir nicht.«
Sie setzte sich der Freundin gegenüber und nahm ihre Hand, die auf dem Tisch lag. »Chris, überlass mir die Sache und fertig! Achtundvierzig Stunden hast du der Presse gesagt, okay. Du wirst so lange zu mir ziehen, und Ralf bleibt zu Hause, damit du nicht alleine bist.«
Sie reagierte nicht darauf. »Ich frage mich, wer davon wusste, dass ich im Kino war.« Hatte Chris überhaupt zugehört?
»Wo warst du vorher überall?«
»Erst im Büro, dann zu Hause und um achtzehn Uhr auf der Vernissage, wo ich diesen Heiliger getroffen habe.«
»Hast du dich von ihm verabschiedet, als du gegangen bist?«
»Ja.«
»Theoretisch könnte er dir also gefolgt sein. Hast du etwas bemerkt?«
»Nein. Auch im Kino nicht. Ich habe mich zwei oder drei Mal umgedreht, weil ich sehen wollte, wie viele Leute in dem Film waren und ob es sich lohnen würde, die Nachfragen nach möglichen Zeugen zu verstärken. Aber da achtet
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