Im Herzen Rein
gelesen.
Nachdem Paula mit Johannas Kollegin Katharina gesprochen hatte, kehrte sie an den Tisch zu Georg Valentin zurück. Er klagte, wie schrecklich die Geschichte sei, dabei riss er die Hände hoch und fuchtelte mit ihnen in der Luft. Dann wurde er wieder ganz sanft und beschrieb Johanna Frenzi als zauberhaftes, wundervoll offenes und vergnügtes Mädchen. »Sie war voller Liebe«, sagte er. »Und sie brauchte viel Liebe. Sie war Schütze, Aszendent Löwe, doppeltes Feuer, keine, die lange bei einem Mann bleiben konnte.« Er lachte. »Sie wollte keinen Mann täglich bekochen und Kinder zur Schule bringen. Sie war wie ein Gedicht von Jacques Prévert: Belle comme le jour, si heureuse, si joyeuse, aussi chaude aussi vivante que l’été - Sie war kostbar und vergänglich.« Bei dem letzten Wort erschrak er. »Aber nicht auf diese Weise.« Sein dünnes Haar stand wirr vom Kopf ab. Er nahm Paulas Hand, sie spürte seine Wärme. »Wie immer ich Ihnen helfen kann, bitte sagen Sie es mir, und ich werde es tun.« Er schaute sie hypnotisch an.
Sie blickte zu Marius, der die ganze Zeit stumm dagesessen hatte. Hinter ihm auf dem Monitor an der Wand lief ein Film, dessen Akteure sie waren, wie sie hier am Tisch saßen: sie zwischen den beiden Männern . Es war die Situation, die sie gerade erlebt hatte und die gerade vergangen war: Valentins Hände flogen wieder durch die Luft, er lachte herzlich, dann sah er gleich wieder traurig aus und ergriff ihre Hand. Auf dem Monitor kam alles ein bisschen später, so als buchstabierte der Film dem Leben hier am Tisch hinterher. Doch ohne Ton wirkten Valentins Gesten übertrieben.
»Was ist das? Filmen Sie uns?«
Valentin erklärte überschwenglich, er filme stets einige Tische, seit Berlin Hauptstadt geworden war. »Viele Maler kommen hierher, und daher habe ich glücklicherweise noch eine letzte Aufnahme von dem berühmten Ingenheim, wie er hier mit der Schauspielerin Moni Vrobel saß. Sie wissen, er ist vor einer Woche gestorben. Sie saßen hier, wie wir, und waren auch im nächsten Moment auf dem Monitor zu sehen. So wie wir jetzt.« Er strahlte. »Ausgewählte
Aufnahmen bearbeite ich, schneide sie zusammen und zeige sie auf der Documenta. Dort werden meine Caféhausbesucher in den Raum der Kunst erhoben. Und über diese künstlerisch verdichtete Realität gibt es dann wiederum Berichte, Bücher und andere Filme.« Er überlegte. »So steigen meine Gäste in den Himmel der großen Sterne auf, wo Marilyn und James warten.«
»Ich möchte da gar nicht hin«, sagte Paula milde, weil sein Enthusiasmus sie an Ralf erinnerte. »Mir würde es genügen, wenn Sie mir die Aufnahmen der letzten vier Wochen ausleihen. Ich verspreche, Sie kriegen sie alle wohlbehalten zurück.«
Er schaute sie an, als wunderte er sich über die Idee einer Spielgefährtin. »Ich vertraue Ihnen. Aber«, er wandte sich auch Marius zu, »trinken Sie jetzt ein Glas Champagner mit mir.«
Paula willigte ein. Danach würde sie hier erst einmal verschwinden und Marius zurücklassen. Er müsste dann auf die Filme warten und dafür sorgen, dass sie ihm alle übergeben würden.
Valentin hob das Glas, flüsterte feierlich: »Auf Johanna«, und trank es in einem Zug leer.
Im Auto auf der Fahrt ins Büro dachte Paula noch einmal an Valentin, diesen sonderbaren Menschen. Ihr gefiel, dass er so hilfsbereit war. Er hatte von seinem Geschäftsführer Johannas Arbeitszeiten aufschreiben lassen, hatte immer wieder überlegt, ob ihm doch irgendetwas Besonderes aufgefallen war, und ihr bereitwillig erlaubt, mit jedem vom Personal zu sprechen. Alle mochten Johanna, aber engeren Kontakt hatte nur die Kollegin Katharina gehabt. Katharina hatte eine sonnige Ausstrahlung, die Paula an einen Kürbis in sattem Orange erinnerte. Fakten wusste sie allerdings kaum zu berichten, weil sie sich mehr stimmungsmäßig ausgetauscht hatten. Paula dachte über den Ausspruch Johannas nach, lieber Geliebte als Ehefrau zu sein. Solange die Männer die Mama und die Hure trennten, wollte sie nicht die Mama sein, habe sie gesagt und damit ihre schnell wechselnden Verhältnisse erklärt. In den letzten zwei Wochen aber hatte sie nur noch von einem Mann gesprochen. Katharina hatte gedacht, das könnte halten, nachdem sie anfangs so von ihm geschwärmt hatte, aber bald schon war nur noch davon die Rede, dass er gewalttätig war. Leider kannte Katharina den Namen nicht, sie wusste aber, dass sich Johanna von ihm trennen wollte.
»Hatte sie Angst
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