Im Herzen Rein
zehn geschlafen, da kam ein Anruf von meiner Firma. Den Tag über habe ich hier gearbeitet.«
»Gibt es dafür irgendwelche Zeugen?«
»Meine Firma hat mehrfach angerufen, und dreimal brachte mir der Room Service zu essen oder zu trinken.«
»Zu welchen Zeiten war das?«
»Gegen elf das Frühstück, gegen fünf habe ich Spaghetti bestellt, und abends um halb acht habe ich mir nach den Nachrichten um 19 Uhr ein Bier bringen lassen. Ach ja, an dem Tag war ja auch noch der Techniker da, weil er den Fernseher reparieren wollte.«
Marius machte sich Notizen. Als Paula schwieg, fragte er: »Herr Kemper, erinnern Sie sich, wo Sie am 18. September waren?«
»Das war der Montag, als ich um 17 Uhr in Tegel gelandet bin. Vorher war ich in Stuttgart. Dann habe ich hier im Hotel eingecheckt. Dann bin ich zu Johanna gefahren, aber sie war nicht zu Haus. Ich habe dann vor dem Lindencafé auf sie gewartet. Aber als sie rauskam, wollte sie nicht mit mir sprechen.«
»Wussten Sie, dass Johanna Frenzi Leberkrebs hatte?«, fragte Paula.
Er richtete sich so abrupt auf, dass Marius schon aufspringen wollte, aber Kemper fragte nur: »Was?«
»Sie wussten es nicht?«
»Nein. Sie hatte Leberkrebs? Woher wissen Sie das?«
»Das ist der medizinische Befund der Obduktion.«
Ein Zittern ging durch seinen Körper, er wandte sich ab und weinte.
Paula gab Marius ein Zeichen. Sie verließen das Zimmer.
Unten an der Rezeption fragte Marius, ob der Gast von Zimmer 314 Zeitungen bezogen hatte. Der Hotelangestellte schaute im Computer nach und verneinte. Kemper hatte auch die Reparatur seines defekten Fernsehers abgelehnt, weil er bei der Arbeit nicht gestört werden wollte.
Paula lud Marius noch auf einen Grappa ein, gleich in der Kneipe nebenan. Sie wollte reden, musste sich nach dem anstrengenden Gespräch im engen Hotelzimmer Luft machen.
»Wie fandest du ihn?«, fragte sie.
»Ein attraktiver Mann, der auf Frauen wirkt, die sich anlehnen wollen. Oder?«
»Attraktiv, na ja, aber der Rest könnte stimmen.«
»Er scheint sie geliebt zu haben. Oder meinst du, er konnte nur nicht verkraften, dass sie gegangen ist?«
Paula beschäftigte etwas anderes. »Findest du es heroisch, deinem Partner nichts zu sagen, wenn du dein Todesurteil erfährst?«
»Du gehst davon aus, dass sie wusste, dass sie Krebs hatte?«
»Das nehme ich an. In ihrem Tagebuch hat sie geschrieben: Ich liebe ihn und kann ihm das Schreckliche nicht sagen - zwei Tage, bevor sie Stuttgart verlassen hat. Ich nehme an, dass sich das auf ihre Krankheit bezog.«
Er überlegte. »Sicher ist es nicht, aber wahrscheinlich hast du recht. Wahrscheinlich ist sie nach Berlin gegangen, um zu vergessen. Sie war ja nicht einmal in ärztlicher Behandlung. Wenn sie irgendwo eine Chemo oder eine andere Therapie gemacht hätte, wäre uns das bei den Nachforschungen nicht entgangen. Und die Schilderungen der Kollegen gehen ja auch nur in Richtung Spaß und Liebesabenteuer.«
»Würdest du das auch so machen?«
Er brauchte eine Weile, bevor er antwortete. Paula wartete geduldig, es interessierte sie. Er schüttelte den Kopf, und dann zuckte er mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Und du?«
Sie sagte nachdenklich: »Hinwendung, nicht Abwendung.«
»Okay, ich werde dich dann pflegen. Und was ist sonst dein Fazit?«
Paula überlegte. »Auch wenn Kemper aufgrund seiner Eifersucht ein starkes Motiv hatte, scheint er ein ziemlich wasserdichtes Alibi zu haben. Außerdem müssten wir noch den Tatort finden. Sein Hotelzimmer scheidet aus. Und das erste Opfer? Kemper war zwar zu der Tatzeit bereits in Berlin, lebt aber in Stuttgart. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es eine Verbindung zu Silvia Arndt gab. Andererseits sind die Inszenierungen der Leichen so identisch, dass ich von einem Täter ausgehe. Ich halte ihn nicht für den Mörder.«
Als Paula im Auto saß, um nach Hause zu fahren, ließ sie alles noch einmal vor ihren Augen ablaufen und kam wieder zu demselben Ergebnis. Natürlich würden sie seine Angaben überprüfen. Sollten sie sich als richtig erweisen, was sie annahm, dann tat er ihr leid. Dann würde sie ihm das Tagebuch geben. Das Tagebuch mit diesem einen Satz, dass Johanna Frenzi ihn geliebt hatte und auch ausdrückte, dass sie ihn mit ihrer Flucht nach Berlin vor ihrer Krankheit und ihrem baldigen Tod bewahren wollte.
32
»Ja, bis später«, sagte Chris leichthin und legte den Hörer auf. Dann betrachtete sie ihre Hände. Sie zitterten, so aufgeregt war sie. Sie ließ
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