Im Herzen Rein
dazu war: Walter Kemper mit seinen breiten Schultern, muskulösen Armen und kräftigen Händen. Johanna Frenzi musste neben dem Mann wie eine zierliche Puppe gewirkt haben. Auf den Fotos hatte sie etwas Fragiles und Schutzbedürftiges.
Paula hatte noch nichts gesagt, und auch Kemper schwieg. Marius warf ihr einen Blick zu, ob er anfangen sollte.
»Wir haben ein Problem«, sagte sie. »Es hängt mit einer Frau namens Silvia Arndt zusammen. Kennen Sie sie?« Sie rechnete damit, dass ihm der Name aus den Medien bekannt war.
Er schüttelte den Kopf.
»Kennen Sie das Lindencafé?«
Er nickte kurz. Sie musste ihn zum Sprechen bringen.
»Dann kennen Sie Frau Frenzi?« Sie spürte seinen Widerstand und hängte gleich die nächste Frage an: »Wo wohnten Sie denn, bevor Sie hier ins Clipper City Hotel eingezogen sind?« Vor ihr auf dem Tisch lag ein Flugticket.
»Worum geht es eigentlich?«, fragte er verstockt.
»Das sagen wir Ihnen gern, wenn Sie mir meine Frage beantworten. Sie wohnen hier seit Montag voriger Woche, aber ich würde doch gern wissen, ob das auch Ihr Ankunftstag in Berlin war.«
Er nickte.
»Darf ich mal einen Blick auf das Ticket werfen?«
Sie wartete seine Zustimmung nicht ab, nahm den Flugschein und stellte fest, dass er Montag, den 18. September, in Tegel angekommen war. »Kennen Sie Frau Frenzi?«
»Warum?«
»Hören Sie keine Nachrichten oder lesen Zeitungen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss einen umfangreichen Projektbericht fertig machen, deswegen habe ich mich in der Firma beurlauben lassen.« Er deutete auf die aufgeschlagenen Aktenordner auf dem Bett. »Ich habe kaum eine Minute Zeit.«
»Sie könnten also nicht lange in irgendeinem Café oder Restaurant herumsitzen?«
Er sah sie feindselig an. »Eigentlich nicht.«
Paula erhob sich. Sie ging zweimal auf und ab, blieb vor ihm stehen und erklärte ihm schonungslos, dass Johanna Frenzi gekidnappt, gefoltert, vergewaltigt und ermordet worden war. Er wurde bleich.
»Erzählen Sie uns, woher Sie Johanna Frenzi kennen und was Sie von ihr wollten, als Sie jeden Tag stundenlang im Lindencafé herumsaßen. Und erzählen Sie uns auch, wohin Sie mit ihr gefahren sind, als Sie sie Donnerstagnacht draußen erwartet haben.«
»Entschuldigen Sie.« Kemper stand auf. Marius auch.
»Ich muss ins Bad«, sagte er gepresst.
Marius begleitete ihn. »Sie müssen die Tür offen lassen. Tut mir leid. Vorschrift.«
Paula hörte im Bad Wasser laufen.
Sie erhob sich schnell und überflog die Akten auf dem Bett. Es ging um Produktionsabläufe und den Einsatz einer neuen Maschine. Auf dem Schreibtisch blätterte sie schnell einen Stoß Papiere durch. Es waren technische Notizen und Formeln. Daneben lag ein Diktiergerät. Sie stellte es an, spulte zurück und hörte Kempers Stimme - ein Diktat zu einem technischen Projekt. Marius machte ihr ein Zeichen, sie legte das Gerät zurück und setzte sich.
Kemper kam aus dem Bad. Seine Haare waren nass.
»Wie viel Zeit haben Sie sich geben lassen für Ihre Projektarbeit?«
»Zwei Wochen. Morgen muss ich zurück.«
»Und warum setzen Sie sich dazu in dieses Hotel in Berlin?«
»Ich wollte Johanna nach Stuttgart zurückholen.«
»Wozu?«
»Wir waren verlobt. Wir wollten in einem halben Jahr heiraten.«
»Johanna ist aber schon vor drei Monaten nach Berlin gekommen.«
»Ja, das habe ich nie verstanden.«
»Sie meinen, Sie waren verlobt, und Sie hat Ihnen nicht gesagt, warum sie nach Berlin geht?«
»Nichts hat sie mir gesagt. Sie hat nur eine merkwürdige Andeutung gemacht.«
»Was für eine Andeutung?«
»Sie hat gesagt: Ich bin nicht der Mensch, für den du mich hältst.«
»Das war alles?«
»Ja, mehr war nicht rauszukriegen. Schließlich habe ich gefragt, warum sie mir das jetzt sagt. Sie meinte, sie habe es vorher nicht gewusst. Das klang sehr nebulös, und als sie dann weg war, hielt ich es für eine üble Ausrede. Sie konnte nicht gut lügen, aber wer will schon die Wahrheit sagen, wenn er den anderen betrügt? Immerhin hatten wir angefangen zu bauen. Sie hatte das Grundstück ausgesucht, mit Garten. Sie träumte davon, mit unseren Kindern darin zu spielen. Und außerdem wollte sie für die Kinder ein Pony, das in einem angebauten Stall stehen sollte.«
Paula versuchte, sich darüber klar zu werden, ob die Geschichte stimmen könnte oder nicht. Das, was er hier beschrieb, passte so gar nicht zu den Schilderungen, die sie im Lindencafé gehört hatte: eine schnelllebige, fröhliche Person,
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