Im Herzen Rein
sich aufs Sofa fallen.
Heiliger hatte angerufen, um sich bei ihr zu entschuldigen. Er habe plötzlich nach Hamburg gemusst und kam mit einer langen Erklärung, wieso er nicht dazu gekommen war, sie anzurufen. Sie hatte sich sehr zusammengenommen, als er sagte, dass er sie unbedingt sehen wolle. Er sei gerade zurückgekommen und möchte sie zum Essen einladen, um sein Vergehen wiedergutzumachen. Natürlich hatte sie getan, als ob sie sich sträube, aber als er sich genügend angestrengt hatte und nicht lockerließ, hatte sie nachgegeben. Um 21 Uhr im Borchardt.
Es wurde Zeit, sich fertig zu machen. Aber es wurde auch Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, dass sie sich mit diesem Fall überforderte. Immer wieder hatte sie das Gefühl, Teil einer Maschine zu sein, die seelenlos, böse und fremd war, aber trotz ihres Widerstandes nicht stoppte, sondern stets an Tempo zulegte.
Barfuß tappte sie ins Bad. Am Waschbecken starrte sie in den Spiegel. Sie war unzufrieden mit dem, was sie sah. Ihr fiel Paulas freundliches Gesicht ein, das selbst bei einem so schwierigen Fall ausgeglichen strahlte. Das Gesicht, das ihr hier entgegenblickte, war angespannt, und die Augen flackerten unruhig. Aufmerksame Menschen sahen sicher ihre Angst. Sie aß in letzter Zeit zu wenig und sah ausgezehrt aus. Aber das hing nicht mit dem wenigen Essen zusammen, sondern mit ihren Sorgen und ihrer Schlaflosigkeit. Sie musste herausfinden, wer hinter ihr her war.
Sie betrachtete sich weiter im Spiegel und sah, dass ihr Entschlossenheit und Zuversicht fehlten. Sie sah verkrampft aus und bleich, die Oberlippe war schmal.
Sie wandte sich ab und ging in die Küche, wo sie am Tag zuvor acht Fläschchen Prosecco in den Kühlschrank gestellt hatte. In das obere Fach, ganz hinten, alle in Reih und Glied, wie eine kleine Leibstandarte. Sie nahm ein Fläschchen, drehte knackend den Verschluss auf, setzte es an die Lippen und ließ den Sekt die Kehle hinunterlaufen. Ihr großer Bruder hatte einmal gesagt, irgendwann würde sie Alkoholikerin. Sie schenkte sich ein Glas Orangensaft ein und bemerkte, als sie das Glas zum Mund führte, dass ihre Hand immer noch zitterte. Sie starrte auf die Küchenuhr und wartete, bis der Zeiger, hart über die Sekunden ruckend, seine Umdrehung vollendet hatte. Ihr Puls wurde ruhiger. Als zweimal 60 Sekunden vertickt waren, fühlte sie sich besser. Sie war nie ein Feigling gewesen, aber diese Angst verzehrte sie.
Die Angst, dass alles gar nicht stimmte und sie wahnsinnig war.
Oder die Angst, dass es sich so verhielt, wie sie es befürchtete, und dass sie dadurch wahnsinnig werden würde.
Als sie gestern zu Bett gehen wollte, hatte sich ihr Gefühl, in Gefahr zu sein, wieder verstärkt. Sie hatte beim Ausziehen innegehalten, dann ihre Scham überwunden und in den Kleiderschrank und sogar unters Bett geschaut. Nichts , überhaupt nichts , hatte sie wiederholt, beruhige dich . Doch sie hatte auch noch Bad und Dusche inspiziert, das Licht ausgemacht und durch die Vorhänge auf die Straße gesehen. Nichts. Auch dort nichts.
Vorhin, als das Telefon klingelte, hatte sie sich erschreckt und gezögert, den Hörer abzunehmen. Sie befürchtete, dass es Paula oder der Beamte vom Großen Lagedienst wären, um ihr einen neuen Mord mitzuteilen. Schließlich griff sie nach dem Hörer. Aber es war kein neuer Mord. Es war Heiliger.
Sie sagte sich wieder, dass es keinen Grund zur Furcht gebe. Sie würde alles mit Paula absprechen, sodass nichts schiefgehen könnte. Vorher würde sie auch noch von Hubertus Bach Rat einholen. Sicher hatte der eine Idee, wie sie sich psychologisch auf den Versuch einstimmen könnte, von Heiliger Material für eine DNA-Probe zu bekommen. Sein Sperma schied aus, schlafen würde sie auf keinen Fall mit ihm - auch wenn das die leichteste Methode gewesen wäre.
Sie versuchte, Paula gleich auf dem Festnetz zu erreichen. Um diese Zeit hatte Ralf immer das Essen fertig, das war Paulas heilige Stunde, da stellte sie ihr Handy aus.
Chris hatte recht, Paula war zu Hause. Sie erklärte ihr die Situation, doch Paula bedauerte, dass sie die Aktion nicht selbst leiten könne, weil es einen Verdächtigen gab, der nur noch heute in Berlin war. Als Paula von Kemper berichtete, begann Chris wieder zu hoffen. Ein Fremder, der nichts mit ihr zu tun hatte und der nach Berlin angereist war, weil er Johanna Frenzi verfolgt hatte. Würde sich doch alles mit diesem Mann auflösen!
Sie verabredete mit Paula, dass das Borchardt ab
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