Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
arbeitet meine Mutter in einem städtischen Projekt mit Jugendlichen, die die Schule geschmissen und somit keine Chance auf eine Ausbildung haben. Ich war überzeugt davon, dass sie spätestens nach drei Monaten das Handtuch werfen würde, aber das Gegenteil war der Fall. Sie ist richtiggehend aufgeblüht und hat sich total verändert, auch was ihre Ausdrucksweise betrifft.
»Ganz ehrlich«, schimpfte sie neulich über den gewalttätigen Vater eines ihrer Schützlinge, »dem würde ich am liebsten auch mal was auf die Fresse hauen, damit er merkt, wie sich das anfühlt!« Dabei sah sie aus, als würde sie das absolut ernst meinen. Meine Mutter ist resoluter geworden – und ich bin mächtig stolz auf sie, dass sie das alles so gut hinkriegt. Dass sie sich jedoch wieder auf meinen Vater eingelassen hat, wundert mich. Vor allen Dingen, weil sie mir nichts davon erzählt hat.
»Hast du gewusst, dass er wieder geheiratet hat?«, frage ich.
»Nein, das wusste ich nicht. Sonst hätte ich doch niemals wieder was mit ihm angefangen. Ich will doch keine Ehe zerstören. Immerhin weiß ich, wie sich das anfühlt.«
»Du hast gar nichts zerstört! Kannst du doch nix dafür, dass sie wieder nach Thailand zurück wollte. Bestimmt hat er sie vergrault. Du weißt doch, wie er sein kann.«
»Na ja …«
»Wie, na ja? Jetzt sag schon!«
»Sie hat herausgefunden, dass er sie betrügt und hat ihm ein Ultimatum gestellt.«
»Mama, wie lange lief das denn zwischen euch beiden schon? Du hattest doch ewig gar keinen Kontakt mehr, oder?«
»Heute wären es sechs Monate gewesen.«
»Ein halbes Jahr? Und warum weiß ich davon nichts?«
»Nun … du hattest doch genug um die Ohren. Ich wollte es dir erst erzählen, wenn ich mir sicher bin.«
»Wenn du dir sicher bist? Ich bin keine zwölf mehr! Ich bin eure Tochter! Und was ist überhaupt mit seiner Frau? Du hast doch eben gesagt, du wusstest nichts von ihr.«
»Ich hatte anfangs wirklich keine Ahnung. Aber dein Vater konnte noch nie gut lügen. Also habe ich ihn zur Rede gestellt. Hätte ich gewusst, dass ein Kind im Spiel ist, hätte ich die Finger von ihm gelassen.«
Das ist der Hammer, meine Mutter ist der Hammer!
Ich beende das Gespräch und setze mich neben Rici auf die Couch. Perplex schaue ich sie an.
»Das glaubst du jetzt nicht …«
Meine Freundin hing die ganze Zeit während des Telefonats an meinen Lippen und hat versucht, sich einen Reim aus dem Teil der Unterhaltung zu machen, den sie mitverfolgen konnte. Jetzt wartet sie gespannt auf meine Ausführungen.
Nachdem ich ihr alles ganz genau berichtet habe, fällt ihr nur ein Wort ein.
»Wow«, sagt sie anerkennend. »Das hätte ich deiner Mutter gar nicht zugetraut.«
»Ich auch nicht.«
»Vor einem halben Jahr hast du noch zu Hause gewohnt. Komisch, dass du nichts davon mitbekommen hast.«
10
Es gibt Dinge, die möchte ich mir lieber nicht vorstellen
Eigentlich wollte ich schon viel früher ausziehen. Aber während meines Studiums konnte ich mir das nicht leisten. Außerdem habe ich sehr gerne mit meiner Mutter zusammengewohnt und mich eigentlich eher wie in einer WG anstatt unter ihren Fittichen gefühlt. Während des Referendariats bin ich dann bei ihr geblieben, um Geld für meine erste eigene Wohnung zu sparen. Jeden Monat habe ich etwas beiseitegelegt, sodass sich am Ende ein kleines Sümmchen angesammelt hat. Aber die Ersparnisse waren schneller weg, als ich dachte. Ich musste wirklich alles neu kaufen, angefangen von der Waschmaschine bis hin zur Knoblauchpresse. Hätte ich nicht auch noch von meiner Oma ein bisschen Geld geerbt, könnte ich mir das Nichtstun momentan nicht leisten. Ich hatte zwar von meiner Ausbildungsschule das Angebot, dort bis zu den Sommerferien als Vertretung zu arbeiten, aber ich fühlte mich einfach zu ausgelaugt und kraftlos. Also habe ich schweren Herzens abgelehnt. Immerhin kann ich deswegen morgens ausschlafen, und es ist nicht schlimm, dass ich wieder mal nachts wach im Bett liege und kein Auge zukriege.
Rici liegt neben mir und schnarcht sachte vor sich hin. Möglichst geräuschlos stehe ich auf, gehe in die Küche und hole eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank. Gerade als ich nach einer Tasse im Buffetschrank greife, höre ich ein leises, dumpfes Plumpsen. Caruso will mir anscheinend Gesellschaft leisten – zielstrebig kommt er über den Fußboden auf mich zugelaufen. Erfreut gehe ich in die Knie. »Na du«, flüstere ich leise. »Magst du ein paar Schokopops? Oder
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