Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
wirklich sehr leid«, entschuldigt er sich und reibt sich dabei verlegen das Kinn. Man möchte es nicht glauben, aber Tilda ist dermaßen ängstlich, dass sie manch mal etwas überreagiert. Sie ist einfach viel zu sensibel.«
Fassungslos schaue ich ihn an. Er scheint das eben absolut ernst gemeint zu haben. Jetzt bloß nicht lachen, denke ich, doch es ist schon zu spät. Als ich die sensible Tilda mit hängenden Ohren dasitzen sehe, kann ich mich nicht mehr zurückhalten.
»Ich hoffe, sie hat Caruso nicht gefressen«, sage ich und pruste los.
9
Er soll bleiben, wo der Pfeffer wächst
Ich habe eine Schürfwunde links am Haaransatz, und wenn ich Pech habe, wird eine kleine Narbe zurückbleiben. Ansonsten habe ich den Unfall ganz gut überstanden. Caruso sitzt mittlerweile wieder auf seinem Ast und tut so, als wäre nichts geschehen. Meinen stechenden Blick ignoriert er.
Aus der eigenen Bärlauchcremesuppe ist nun doch eine gelieferte Pizza Diavolo geworden. Dazu serviere ich einen italienischen Salat, gefüllte Pizzabrötchen und die billige Flasche Wein, die es gratis dazu gab. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, so schnell nicht wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren, aber heute mache ich doch noch mal eine Ausnahme. Rici hat Ausgang. Das heißt, dass ihr Mann Christoph Emma ins Bett bringt, Rici sich auch mal einen zwitschern darf und heute bei mir schläft. Gemütlich lümmeln wir in unseren Schlafanzügen auf der Couch und verspeisen genüsslich die Pizza, als es klingelt. Wir haben schon halb zehn, so spät bekomme ich nie unangemeldet Besuch.
»Bestimmt Hilde«, vermute ich und gehe zur Tür. Oder will sich der Blonde mit der Dogge etwa noch mal für den Unfall entschuldigen und fragen, wie es mir geht? Er weiß ja, wo ich wohne.
»Papa? Was willst du denn hier?«
»Hallo, mein Schatz!« Mein Vater drückt mir links und rechts einen Kuss auf die Wange. »Warst du schon im Bett? Steckt deine Mutter vielleicht bei dir?«
»Guten Abend, Herr Mazur, lange nicht mehr gesehen.« Wie auf Kommando erscheint Rici neben mir. Höflich streckt sie meinem Vater ihre Hand entgegen.
»Mensch, das ist aber schön, dich mal wieder zu sehen, wenn auch im Schlafanzug!« Mein Vater zieht kurz die Stirn in Falten, wahrscheinlich kommt ihm der Gedanke, wir könnten etwas miteinander haben.
Dann ergreift er spontan Ricis Hand und zieht sie an sich ran. Auch sie wird mit zwei Küssen beglückt.
Abwartend starre ich meinen Vater an. Was will er bloß? Da knufft Rici mich auffordernd in die Seite.
»Ach ja, äh, komm doch rein.
Er lässt sich nicht zweimal bitten. Kurz darauf sitzt er auf der Couch in meinem Wohnzimmer und schaut sich um. »Schön hast du es hier.«
Mein Vater ist kein schlechter Mensch. Ich würde ihn eher als oberflächlich und nicht in der Lage bezeichnen, tiefe Gefühle zu empfinden. Auf jeden Fall scheint er nicht wegen mir hier zu sein.
»Du suchst Mama?«
»Ja, ich dachte, sie wäre vielleicht bei dir. Ihr haltet doch sonst auch immer zusammen. Sie hat sich seit drei Tagen nicht bei mir gemeldet. Ich mache mir ernsthaft Sorgen. Kannst du nicht mal …«
Irgendwas stimmt hier nicht. Meine Mutter hat sich monatelang nicht bei ihm gemeldet, und er hat sich niemals Gedanken darüber gemacht. Immerhin sind sie seit vielen Jahren geschieden.
»Was ist denn passiert?«, hake ich besorgt nach. Langsam wird mir doch mulmig zumute.
»Ach, eine ganz blöde Sache … Kannst du nicht mal unverbindlich anrufen und fragen, wie es ihr geht? Ich möchte nur wissen, ob alles in Ordnung ist, mehr nicht.«
Ich sehe meine Mutter so etwa im Abstand von ein, zwei Wochen, meistens am Wochenende. Das letzte Mal hatte sie keine Zeit – und seitdem habe ich nichts von ihr gehört, was tatsächlich merkwürdig ist. Normalerweise telefonieren wir regelmäßig unter der Woche.
Kommentarlos stehe ich auf und greife zum Telefon. Dabei habe ich meinen Vater die ganze Zeit im Blick. Nervös wippt er mit dem linken Fuß auf und ab. Das macht mich ganz kirre.
»Mama? Gut, dass du da bist. Ist alles klar bei dir?«
»Ja, wieso fragst du? Mir geht es gut.« Dann macht sie eine kurze Pause. »Ist er etwa bei dir?«
»Papa? Ja, er macht sich aus irgendeinem Grund Sorgen um dich.«
»Er soll bleiben, wo der Pfeffer wächst. Sag ihm das. Ich bin mir außerdem sicher, dass der ganz prächtig in Thailand gedeiht!«
»Aber …«
»Marly, das war das letzte Mal, dass ich ihm vertraut habe. Er soll bloß nicht wagen, hier noch
Weitere Kostenlose Bücher