Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
Geschirrhandtuch über die Blätter. Als ich plötzlich ein Knacken hinter mir höre, drehe ich mich erschrocken um. Ich bin ganz alleine und habe mir bis eben überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass noch jemand da sein könnte. Instinktiv greife ich zum Handy in meiner Hosentasche, um notfalls Hilfe rufen zu können. Aber das ist überhaupt nicht nötig, wie ich schon kurz darauf feststelle.
Vor mir sitzt Caruso. Und in seinem Maul zappelt eine kleine Maus, die noch sehr lebendig wirkt. Ich will gerade anfangen loszuschimpfen, da fällt mir Hilde und ihr Ratschlag, Caruso zu loben, wieder ein. Also hocke ich mich auf den Boden und säusele: »Fein hast du das gemacht, prima! Ist die Maus für mich?«
Die Beute ist für mich. Caruso öffnet sein Maul und lässt sie frei. Eilig verschwindet die Maus zwischen den Blättern.
»Ich mag sie lieber lebendig«, erkläre ich und streichle den Kater, dessen Blick dem leisen Rascheln auf dem Boden folgt. »Wie bist du eigentlich hierhergekommen? Hast du mich etwa verfolgt?«
Natürlich bekomme ich keine Antwort von Caruso, der mich nun einfach nur gebannt ansieht.
»Und jetzt? Ich möchte zurückfahren. Läufst du neben mir her?«
Er macht keine Anstalten, sich in Bewegung zu setzen. Also knote ich das Geschirrtuch zusammen und schütte den Bärlauch hinein. Den Beutel hänge ich an die Lenkstange. Der Kater lässt sich in den Korb setzen, macht es sich in seiner Mitfahrgelegenheit gemütlich und lässt sich tatsächlich von mir nach Hause kutschieren.
Wir sind fast am Ziel angekommen und biegen gerade um die Ecke der Straße, in der ich wohne, da höre ich plötzlich ein lautes Bellen hinter mir, gefolgt von einem giftigen Fauchen, dann ein mahnendes »Tilda!«
Überrascht drücke ich beide Vorderbremsen gleichzeitig, was zwangsläufig dazu führt, dass das Hinterrad raketengleich in die Luft schießt – und Caruso mit dazu. Nur Sekunden später sitze ich auf der Straße und reibe mir benommen meine schmerzende Stirn. Caruso schießt an mir vorbei. Verblüfft drehe ich mich um und schaue ihm nach. Dabei sehe ich ein großes hellbraunes Ungetüm auf mich zurennen, verfolgt von einem grauen Kater.
»Caruso!«, brülle ich und versuche, möglichst schnell aus der Schusslinie der beiden Tiere zu kommen. Dann wird mir schwarz vor Augen.
»Hallo, können Sie mich hören?«, dringt eine tiefe Männerstimme in mein Bewusstsein. Kurz darauf fühle ich eine warme Hand an meinem Hals. Dann zieht jemand meine Beine in eine gestreckte Position.
Nach meinem Examen habe ich einen Erste-Hilfe-Kurs beim Roten Kreuz absolviert, damit ich als Lehrerin gut vorbereitet bin, sollte mal ein Schüler verunglücken. In Gedanken verfolge ich alle Schritte, die mein Retter gerade an mir vornimmt: Beine des Bewusstlosen strecken, den einen Arm im rechten Winkel zum Körper ausrichten, die Handfläche dabei nach oben zeigend, darüber angewinkelt den anderen Arm legen …
Ich finde mich in der stabilen Seitenlage wieder, als jemand sagt: »Ich habe kein Handy dabei, können Sie den Rettungsdienst alarmieren? Die Frau ist bewusstlos!« Doch da öffne ich die Augen und melde mich mit einem »Mir geht’s gut« zurück. Nicht, dass noch jemand auf den Gedanken kommt, mich mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung zu beglücken. Langsam setze ich mich auf und horche in mich hinein. Dann bewege ich vorsichtig Arme und Beine und drehe schließlich langsam meinen Kopf hin und her. Ich habe anscheinend Glück gehabt und mich nicht verletzt. Erleichtert atme ich auf.
»Geht es wieder?« Neben mir kniet der blonde Kerl, diesmal gekleidet in einen blauen Kapuzenpulli. Es ist der Typ, der vor zwei Wochen den Aufstand wegen Caruso gemacht hat, weil der es angeblich auf sein armes Hündchen abgesehen hat. Besagte Tilda hat mich gerade über den Haufen gerannt. Okay, sie wurde dabei tatsächlich von einem wild gewordenen Kater verfolgt, der sich ausgerechnet mich als sein Frauchen ausgesucht hat, aber dafür kann ich wirklich nichts. Außerdem – wenn man mit einem Hund unterwegs ist, der rein optisch gesehen die Größe eines kleinen Ponys hat, muss man ihn einfach richtig im Griff haben, oder besser gesagt, an der Leine.
Innerlich auf ein Streitgespräch eingestellt, stehe ich mit wackligen Beinen auf. Dabei übersehe ich die ausgestreckte Hand des Mannes. Konfliktbereit warte ich auf einen Vorwurf oder eine Standpauke wegen meines furienartigen Katers, doch das Gegenteil ist der Fall.
»Es tut mir
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