Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
mal aufzutauchen. Und anrufen braucht er auch nicht mehr«, wettert sie weiter – und legt grußlos auf.
»Sie hat sich ganz lebendig angehört«, sage ich zu meinem Vater. »Ach ja, und sie meint, du sollst bleiben, wo der Pfeffer wächst.«
Meines Erachtens wird Pfeffer weitestgehend in Indien angebaut. Auch Madagaskar fällt mir dazu ein, Thailand allerdings nicht. Aber Geografie war sowieso nie meine Stärke.
»Erzählst du mir jetzt endlich, was passiert ist?«
Etwa eine halbe Stunde später sind die Reste meiner Pizza kalt und mein Vater wieder weg.
»Jetzt brauch ich echt was Stärkeres.« Ich mache mich auf die Suche nach irgendetwas Trinkbaren mit einem höheren Alkoholgehalt als Wein. Den restlichen Wodka habe ich weggeschüttet, aber in der Küche finde ich noch einen Grappa Barrique, der bestimmt allein schon wertvoll aufgrund seines Alters ist. Mit zwei Wassergläsern und der geöffneten Flasche stehe ich kurz darauf wieder im Wohnzimmer.
»Schnapsgläser habe ich leider nicht.« Ich lasse mich neben Rici aufs Sofa fallen.
»Das ist der absolute Hammer!« Rici prostet mir zu und genehmigt sich einen großen Schluck der goldgelben Flüssigkeit. Dann grinst sie. »Du hast einen Bruder, Marly! Jetzt bist du kein Einzelkind mehr.«
Die Wurzel des Übels heißt Lukas. Und mein Vater wurde nicht etwa von ihm überrascht, so nach dem Motto: »Hallo, ich bin der Sohn, von dem du bisher nichts wusstest. Ich wurde vor dreißig Jahren während deines Urlaubs auf Mallorca gezeugt. Bestimmt erinnerst du dich an meine Mutter. Sie heißt …«
Nein, mein Halbruder ist gerade mal drei Jahre alt. Mein Vater hat natürlich die ganze Zeit von ihm gewusst, denn er hat ihn mit seiner thailändischen Frau gezeugt, mit der er die letzten Jahre auch zusammengelebt hat. Von der Ehefrau wiederum hat er uns nie etwas erzählt, geschweige denn vom Nachwuchs. Letzte Woche ist seine Ehefrau abgehauen, zurück nach Thailand, und hat ihn alleine mit Lukas sitzen gelassen. Aber das ist noch nicht alles. Mein Vater hat tatsächlich meine Mutter wieder rumgekriegt, sich auf ihn einzulassen. Es klappte auch sehr gut – bis er ihr am Wochenende den Kleinen vorstellte.
»Super, einen Bruder, der vierundzwanzig Jahre jünger ist als ich. Ich könnte seine Mutter sein!« Ich genehmige mir einen kräftigen Schluck aus dem Wasserglas. Dann greife ich erneut zum Telefon.
»Ich wusste, dass ich dich nicht alleine lassen darf. Wäre ich bloß nicht ausgezogen! Kaum hast du sturmfrei, baust du Blödsinn. Du bist ja schlimmer als ich!«, sage ich in vorwurfsvollem Ton zu meiner Mutter.
»Ja, schimpf nur mit mir! Ich habe es nicht anders verdient. Mit fünfzig sollte man über ein bisschen mehr Verstand verfügen. Ich bin tatsächlich schon wieder auf ihn reingefallen. Ich könnte mir in den Hintern beißen vor Wut.«
»Na ja, er kann ja auch sehr charmant sein. Außerdem hat er dich immer geliebt, davon bin ich überzeugt. Auf seine Art eben.«
»Stell dir vor, er hat allen Ernstes geglaubt, ich würde mich um den Kleinen kümmern. Er ist einfach mit ihm bei mir aufgetaucht, ohne mich vorzuwarnen. Hat wohl darauf spekuliert, dass ich weich werde, wenn ich in die großen braunen Kinderaugen sehe.«
»Und?«
»Bin ich nicht! Ich bin hart geblieben.«
»Weiß ich ja. Ich meine, wie sieht er aus?«
»Süß, wie alle Mischlingskinder eben. Der Kleine kann ja auch gar nichts dafür. Er sieht frech aus: braune, große Augen, schwarzes Haar, relativ klein für sein Alter, aber dafür sehr wortgewandt. Gut, dass ich nicht mehr im Kindergarten arbeite. Sonst hätte dein Vater ihn wahrscheinlich einfach dort angemeldet.«
Meine Mutter hat immer mit kleinen Kindern gearbeitet. Und ich finde, das passte auch ganz toll zu ihr. Sie ist kreativ und hat viel Geduld. Wahrscheinlich habe ich meine Liebe für Kunst ihr zu verdanken. Angeblich habe ich schon mit eineinhalb Jahren meine Hände in Farbeimer getaucht und damit auf großen Papierbögen rumgeschmiert, die meine Mutter eigens für mich auf dem Fußboden in der Küche ausgebreitet hatte.
Als ich sechs Jahre alt war, wusste ich, wie man aus alten Zeitungen, Wasser, Kleister und einem Mückenschutzgitter Papier schöpfen kann – und dass es Ärger gibt, wenn man die Kunstwerke auf dem Teppich zum Trocknen ausbreitet. Mit zehn Jahren bekam ich meine erste Staffelei und Acrylfarben geschenkt. Damals beschloss ich, irgendwann mal eine berühmte Künstlerin zu werden.
Seit einem halben Jahr
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