Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
bleibt hinter mir und guckt mir über die Schulter.
In die Armlehne des Sessels ist ein großes Display eingelassen, das stark an ein iPad erinnert.
»Hier wurde vor Kurzem auf ein neues System umgestellt«, erklärt Ruby.
»Sag bloß, Steve Jobs ist hier oben?«, fragt Gabriel.
»Nein, dem geht es wie Goethe. Er hat genug von seinem irdischen Job und beschäftigt sich lieber mit anderen Dingen. Aber es gibt auch noch weitere helle Köpfe im Himmel.«
»Und wie funktioniert das jetzt alles? Ist doch egal, wer das hier erfunden hat«, sage ich.
»Du gibst deinen Namen, deinen Geburtstag und dein Passwort ein. In eurem Fall heißt es einfach Gast. Der Administrator hat extra einen Account für Besucher angelegt. Dann erscheint ein Feld, in dem du gefragt wirst, wen du sehen möchtest. Gibt es mehrere Personen, die den gleichen Vornamen tragen, kannst du nach Geburtsdatum oder aktueller Adresse selektieren. Gehört die Person zu deinem persönlichen Umfeld, wird nach der PIN gefragt. Aber die hast du nicht. Man muss sie beim Administrator anfordern.«
»Gehöre ich selbst auch zu meinem persönlichen Umfeld?«, frage ich.
»Das hat sie jetzt nicht wirklich gefragt, oder?« Ruby grinst Gabriel an.
»Ich fürchte doch.«
»Ihr seid doof!«, fahre ich dazwischen. »Was ist denn so witzig an der Frage? Du hast Um feld gesagt, Ruby. Das bedeutet, was um mich herum ist. Also nicht ich selbst.«
»Klingt irgendwie verdammt nach Frauenlogik«, stellt Gabriel fest.
»Okay, dann drücke ich mich anders aus. Du bist tabu. Und alle, die was mit dir zu tun haben, auch. Tut mir leid, Marly.«
»Aber du könntest dich doch anmelden und dir ein paar Momente aus meinem Umfeld anschauen. Bekommt doch niemand mit, wenn ich dir dabei ein wenig über die Schulter gucke. Hier sind alle schwer beschäftigt. Außerdem habt ihr mir doch sowieso schon den Filmzusammenschnitt geschenkt. Bitte, Ruby, irgendwas ganz Unverfängliches.«
»Gepfuscht wird nicht, Marly. Aber ich kann gerne mal den Administrator fragen, ob er eine Ausnahme macht. Ich bin gleich wieder da, wartet hier.«
»Bist du gar nicht neugierig?«, frage ich Gabriel.
»Ehrlich gesagt nicht. An der Vergangenheit kann man sowieso nichts ändern. Mich würde vielmehr ein Blick in die Zukunft interessieren.«
»Damit könntest du mich nicht locken. Ich möchte gar nicht wissen, was demnächst noch alles passiert. Nicht, dass ich dann gleich freiwillig hier oben bleibe, weil es unten ganz schlimm wird.«
»Du solltest nicht immer so pessimistisch sein, Marly. Dein Leben wird bestimmt noch weitergehen. Oder meinst du, sie hätten dich eingeladen, wenn du sowieso in der nächsten Zeit hier eingefahren wärst?«
»So meinte ich das nicht …«
»Okay, dann mach mal Platz.« Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ruby sitzt ein paar Sekunden später auf dem Sessel und gibt seinen Namen sowie das Geburtsdatum ein: Rubens Ramirez, 04.07.1973.
»Bist du Spanier?«, frage ich neugierig.
»Hast du etwa gelünkert? Dreh dich sofort um, Marly, sonst gebe ich mein Passwort nicht ein, und wir blasen die ganze Sache ab.«
»Ist ja schon gut.« Ich weiß gar nicht, warum Ruby so einen Aufstand macht. Ich bin wahrscheinlich so schnell sowieso nicht wieder da.
»Okay, ich bin soweit. Was möchtest du denn sehen? Es muss allerdings etwas sein, wo du auch drin vorkommst.«
»Ich würde gerne eine Aufnahme aus meiner Kindheit sehen.«
»Datum und Uhrzeit?«
Ich war ein süßes Kind. Und zu dem Zeitpunkt gerade vier Jahre alt und mit meinen Eltern im Urlaub auf Fuerteventura. Ganz versonnen hocke ich mit Eimer und Schaufel im Sand und grabe an einem Loch. Meine Eltern liegen neben mir auf einer großen Decke. Meine Mutter, sie liest gerade ein Buch, ist bildhübsch – und sehr jung. Sie war dreiundzwanzig, als sie mich geboren hat. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war sie also so alt wie ich heute. Mein Vater ist zwei Jahre älter als meine Mutter und sieht in seinem engen Höschen richtig knackig aus. Er hat das gleiche blonde Haar wie ich, die vollen Lippen – und auch meine Knubbelnase habe ich ihm zu verdanken.
»Mama«, fragt das kleine Mädchen, das eindeutig ich bin, »gehst du mit mir Wasser holen?«
»Gleich, Schatz, wenn ich das Kapitel fertiggelesen habe.«
So lange möchte ich anscheinend nicht warten. Ich schnappe mir den Eimer und laufe runter ans Meer. Dort lasse ich Wasser in meinen Eimer laufen. Die große Welle, die auf mich zurollt, nehme ich nicht wahr. Mich
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