Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
J. K. Rowling bis hin zu Goethe ist hier alles vorhanden. Gabriel scheint sich vielmehr für die Funktionalität des Regalsystems zu interessieren.
»Darf ich mal?«, fragt er, und als Ruby nickt, zieht Gabriel einen der Hebel, die an der Wand befestigt sind. Geräuschlos versinkt das Regal im Boden und macht dem darüber Platz.
»Wow!«
»Anders würde man die Massen an bedrucktem oder handbeschriebenem Papier gar nicht bewältigt kriegen«, sagt Ruby.
»Und moderne Archivierungsmethoden?«
»Davon hält hier oben niemand was. In der irdischen Bibliothek gibt es nur die Originale.«
Während die Männer über die Technik reden, habe ich nur Augen für die Bücher. Ehrfürchtig streiche ich mit den Fingern über eine Reihe besonders alter Werke. »Ich würde wahrscheinlich jeden Tag von morgens bis abends hier sitzen und in den Büchern stöbern.«
»Du könntest sie dir aber auch ausleihen und in Ruhe zu Hause lesen.«
»Nein, hier gefällt es mir. Ich würde sie hier lesen, und zwar eins nach dem anderen, bis ich sie alle durchhabe. Unendlich viel Zeit dafür hätte ich dann ja.«
»Die würdest du auch brauchen«, sagt Ruby. »Im Nebenraum befindet sich nämlich noch die himmlische Bibliothek. Darin finden sich neben den Werken der himmlischen Schriftsteller auch Engelskunde und eine ganze Reihe anderer Lehrbücher.«
»Was sind denn himmlische Schriftsteller?«, frage ich.
»Die, die schon zu Lebzeiten geschrieben haben und es im Himmel nicht lassen können. Und die, die immer davon geträumt haben und sich hier verwirklichen. Und dann gibt es noch die Schutzengel-Lektüre der Engel, die ihre Erlebnisse auf der Erde beschreiben. Die ist teilweise recht lustig.«
»Welcher der zu Lebzeiten bekannten Schriftsteller schreibt denn noch? Goethe vielleicht?«
»Nein«, sagt Ruby, »der hat keine Lust mehr.«
»Und Michael Ende?« Der Gedanke gefällt mir, denn womöglich spinnt er den Faden der Unendlichen Geschichte weiter .
»Der schreibt tatsächlich noch.«
»Echt? Und was? Ich meine … dürfen wir mal in diese Bibliothek gehen und nachschauen?«
»Wir können gerne nach nebenan gehen, aber du darfst leider die Werke nicht lesen, die hier oben im Himmel verfasst werden.«
»Ach, das ist aber schade. Aber sehen würde ich die himmlische Bibliothek schon gerne mal.«
»Na gut, dann kommt mal hier entlang …«
Wir laufen einen Gang entlang, und ich bemerke meine zunehmend gute Laune.
»Wahnsinn, oder?«, frage ich Gabriel und bohre meinen Zeigefinger in seine rechte Seite.
»Hey!«
»Pssst«, macht Ruby. »Wir sind da.«
Die Bücher stehen auch hier in zahlreichen Regalen, die nach dem gleichen Paternoster-Prinzip funktionieren. Möglichst unauffällig nähere ich mich den Bücherrücken, um einen Blick auf einen Autorennamen werfen zu können.
»Die Bücher, für die du dich interessierst, stehen weiter hinten, Marly. Du musst dich also gar nicht so verrenken.«
»Sind sie nach Genre, Alphabet oder Erscheinungsjahr geordnet?« Typisch, dass Gabriel das wissen möchte. Männer interessieren sich brennend für Regalsysteme oder Sortiermethoden. Dass hier unbegreiflich wertvolle Schätze stehen, scheint ihm gar nicht bewusst zu sein.
»Lehrbücher, Erlebnisberichte und himmlische Autoren stehen getrennt, sind aber dann jeweils alphabetisch geordnet. Hier vorne findet man Berichte und Lehrbücher, ab etwa dem zehnten Regal stehen die neuen Werke der himmlischen Autoren.«
Andächtig gehe ich den langen Gang entlang und zähle dabei die Regale. Vor dem zehnten drehe ich mich um und sehe Ruby fragend an.
Als er den Kopf schüttelt, seufze ich ergeben auf und gehe brav zurück.
»Tut mir leid, Marly«, sagt Ruby und tätschelt mir den Arm. »Gehen wir weiter? Es gibt neben den Bibliotheken noch zwei Filmarchive.«
Neugierig horche ich auf.
»Stammen daher auch die Aufnahmen aus meinem Leben?«
»Ja, die hab ich mit Liane hier geschnitten.«
»Und dürfen wir da zur Abwechslung auch mal was anschauen?«
»Das werden wir gleich sehen.«
Damit habe ich nicht gerechnet. Ich bin davon ausgegangen, dass hier im Archiv ein ähnliches System angewandt wird wie in der Bibliothek und die Filme in Regalen aufbewahrt stehen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Hier läuft alles hochmodern ab. Die ganze Halle ist mit Bildschirmen ausgestattet, vor denen jeweils ein Sessel steht. Einige davon sind besetzt.
»Darf ich?«, frage ich, und als Ruby nickt, nehme ich auf einem freien Sessel Platz. Gabriel
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