Im Informationszeitalter
kann ein so weiser Mann so pessimistisch urteilen?
Lem: Aber das tue doch ich nicht immer. Wissen Sie, als die Sowjetunion kollabierte und wir die Souveränität in Polen bekamen, waren meine Frau und ich zu Tränen gerührt, als wir die ersten freien Sitzungen des Parlaments sehen konnten. Jetzt haben wir auch Tränen in den Augen, aber Tränen der Wut, weil so dermaßen dumme Leute da als gewählte Parlamentarier sitzen. Wie Churchill sagte: Demokratie ist zwar entsetzlich, aber es gibt kein besseres System. Man hat es noch nicht gefunden.
Desillusion als Jahrhundertbilanz?
Lem: Die Leute glauben, dass es besser wird. Aber die Unbarmherzigkeit, die Grausamkeit der Zeit vergrößert sich. Ich sehe jetzt weit weniger fern als früher. Es ist eintönig, und es wird immer geschossen. Man weiß nicht, ist das Attentat echt oder gespielt. Die ruhigste Landschaft befindet sich in der Werbung. Da kommt ein Mädel, isst ein bisschen Reis oder Makkaroni und hat sofort einen Orgasmus aus purer Freude, weil es so gut geschmeckt hat. Mein Sekretär hat mir geraten, kaufen Sie sich einen Digitalumformer, dann werden Sie nicht zwanzig, sondern achtzig Programme haben. Was soll ich damit?
In Ihren Romanen wimmelt es von Zukunftstechnologien. Steht Ihre heutige Kritik dazu nicht im Widerspruch?
Lem: Ich sehe keinen Widerspruch. Ich habe immer das geschrieben, was mich interessierte, belletristisch und in meinen Sachbüchern. In den letzten Jahren habe ich schon zwei Bücher über die Probleme des Internet geschrieben.
Das Sie sehr kritisch beurteilen und als “Infoterrorismus” bezeichnen. Ist das nicht ein wenig paranoid?
Lem: Es gibt diesen Terrorismus. Die Terroristen benutzen die technologischen Werkzeuge, die vorhanden sind. So ist der Mensch geschaffen, mit dem Bösen in seinem Innern. Man redet von einem zukünftigen Krieg als von einem Informationskrieg.
Benutzen Sie selbst inzwischen das Internet?
Stanislaw Lem: Nein, das überlasse ich meinem Sekretär. Soll er sich damit abquälen.
Aber warum nutzen Sie nicht die technischen Möglichkeiten, die Sie selbst vor 25 Jahren beschrieben haben?
Lem: Es gibt keine Intelligenz im Netz. Was kann man da schon herausfinden? Das ist ein Ozean an Informationen, und wir stehen mit einem Löffel davor. Ich habe auch gar keine Zeit. Ich bekomme Bitten um Autogramme, Aufnahmen, Interviews. Aber ich bin doch kein Filmstar. Als ich in den Vierzigerjahren anfing zu schreiben, war ich ein einfacher Medizinstudent. Das ist alles wie eine Lawine über mich gekommen. Ich nörgle ja nicht, aber das hat alles schon lange eine Eigendynamik.
Fühlen Sie sich überfordert?
Lem: Soll ich klatschen? Soll ich glücklich sein? Wenn man sich die Zukunft allzu rosig und optimistisch vorstellt, erweist sich das meistens als falsch. Jetzt ist eine von mir absolut niemals vorausgesagte Mode aus Japan gekommen: diese Tamagotchis. Wozu braucht man elektronische Katzen? Es gibt Leute, die Alligatoren zu Hause haben. Bitte schön. Künstliche Maschinenwesen halte ich dagegen für reinen Unsinn. Aber die Leute mögen reinen Unsinn.
Warum haben Sie, was die nachfolgenden Generationen angeht, so wenig Ahnung, Zutrauen oder beides?
Lem: Wieso? Sehen Sie, hier ist ein schönes Bild meiner Enkelin. Bitte sehr! Es ist sehr schön.
Warum können Sie sich nicht vorstellen, dass jüngere Menschen mit Technologien selbstverständlicher umgehen und nicht sämtliche positive Erlebniswelten verlieren, wie Sie fürchten?
Lem: Weil ich von allen Seiten nur höre, dass es schlimmer wird. Wir sind umzingelt von Problemen. Es gibt Probleme wie Erdbeben und Taifune, gegen die wir machtlos sind, und solche, gegen die wir versuchen, etwas zu unternehmen, wie zum Beispiel gegen die Arbeitslosigkeit, aber auch das mit wenig Erfolg.
Null Vertrauen in die Menschheit?
Lem: Aber ich bitte Sie! Der Zweite Weltkrieg hat fünfzig Millionen menschliche Opfer gekostet. Das weckt in mir kein großes Vertrauen in die Menschheit.
Ich fragte nicht nach den Generationen, die zwei Kriege angezettelt haben.
Lem: Glauben Sie, dass ich meinen Sohn hierhin setze, wo Sie jetzt sitzen, und ihm erkläre, dass es sich nicht lohnt zu leben?
Nein.
Lem: Also. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas anderes beschreibe als das, was der Fall ist. Ich habe das Internet nicht erfunden. Ich habe die Hacker nicht erfunden und niemandem Viren geschickt. Werden Sie krank, können Sie nicht die Mikroben anklagen. Sie sind ein Bestandteil
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