Im Informationszeitalter
beispielsweise noch brave Fernsehjournalisten gibt, die bereit sind zu sterben,
um den Menschen Bilder vom Gemetzel der zivilen Bevölkerung zu zeigen. Es gibt auf der ganzen Welt eine Unmenge solcher Krisenherde. Keine technologische Entwicklung kann diese Konflikte löschen. Wir wissen, wie schwach wir gegenüber der Natur sind. Man erzählt uns Märchen etwa in der Klimatologie, daß das Klima angeblich immer wärmer wird. Einen solchen kalten und verregneten Sommer wie diesen habe ich noch nie in meinem ziemlich langen Leben erlebt. Was die Gelehrten sagen, was geschehen oder was durch den Computer entstehen wird, stimmt oft nicht.
Sie haben vor mehr als dreissig Jahren einmal geschrieben, daß gegen eine Technologie immer nur eine andere helfen kann. Ist das noch immer Ihre Meinung?
Stanislaw Lem: Natürlich geht das, aber mit Maßen. Wenn eine Arznei beispielsweise unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringt, dann kann man diese mit einer anderen lindern. Aber wenn diese andere Arznei wiederum andere Nebenwirkungen hat, dann gibt es einen unendlichen Kreislauf und dann kann man Technologie auf Technologie aufhäufen. Man wird an erster Stelle hier eine Kostenschwelle bemerken, denn das kostet dann einfach zuviel. Wir hören sowieso von den Ökonomen, daß uns alles zuviel kostet. Der Wohlfahrtsstaat kostet uns zuviel. Deswegen ist ein Sparpaket notwendig, weil die Kosten davonlaufen. Immer wieder hört man, daß sich die Deutschen übernommen haben. Meineserachtens hat die DDR damals etwas Kluges gemacht. Sie hat die Propagandamaschine so gut entwickelt und so gut lügen können, daß alle glaubten, sie sei wirklich ein blühendes Land.
Nach dem Fall der Mauer zeigte sich, daß die DDR ein grundloser Brunnen war, in den man Milliarden um Milliarden hineinwerfen kann. Es gibt zwar eine gewisse Verbesserung, aber die kostet enorm viel. Es gibt zwar noch Befürworter der Vereinigung bei den Deutschen aus dem Westen, aber das ist eine immer kleiner werdende Schar. Das habe ich schon bemerkt, wenn ich mit meinen Besuchern spreche.
Wir in Polen hingegen hatten keinen so reichen Bruderstaat. Es gab kein reiches Polen, das uns Subventionen in Milliardenhöhe geben konnte. Trotzdem geht es irgendwie, während in Deutschland nichts recht vorankommt. Wenn man nur die Ladenzeiten ein bißchen verlängern will, dann gibt es gleich ein entsetzliches Geschrei. Bei uns gibt es jetzt die im Verhältnis zu Deutschland schreckliche Freiheit. Wenn Sie ein Ladenbesitzer sind, dann können Sie Ihr Geschäft 24 Stunden öffnen, wenn Sie das wollen. Sie müssen sich nur mit Ihren Verkäufern verständigen. Wenn man zuviel von den Gewerkschaften hält, ist dies vielleicht ein bißchen ungesund. Lady Thatcher hat seinerzeit einen Krieg mit den Gewerkschaften geführt und ihn ziemlich gut gewonnen. Allerdings sagt man, daß sie einen Scherbenhaufen hinter sich gelassen hat. Das ist schon möglich. Ich bin kein Ökonom, sondern das ist nur meine private Meinung. Wenn man bei uns sagen würde, Sie dürfen Ihren Laden nur bis 18 Uhr öffnen, dann würde man dies nicht mehr verstehen. Jeder soll es so machen, wie er will. Das ist die Freiheit.
Aber eben das ist auch die Freiheit, die heute noch im
Internet möglich ist.
Stanislaw Lem: Das ist wieder etwas anderes. Die Polen waren schon immer ein bißchen
Anarchisten. Das hat uns in der kommunistischen Zeit sehr geholfen.
Um noch einmal auf die Technik zu kommen, so spricht man heute immer mehr von einer technischen Evolution. Überhaupt wird die Evolutionstheorie zu einem beherrschenden Paradigma, In Ihrem futurologischen Buch “Summa technologia” haben Sie auch bereits die biologische Evolution mit der technischen Evolution in Analogie gesetzt und ganz ernsthaft von einer Technoevolution gesprochen. Wenn man von Evolution spricht, dann heißt das immer auch, daß man von Konkurrenz und Auslese, aber auch von einem kaum steuerbaren und vor allem nicht voraussagbaren Prozeß spricht. Technoevolution hieße so auch, daß die Menschen keine Gewalt über die Technik besitzen. Sehen Sie das noch immer so? Und sehen Sie in der Technoevolution eine bestimmte Zielrichtung?
Stanislaw Lem: Ja, es gibt eine Technoevolution, die nach ähnlichen Gesetzen abläuft wie die biologische. Früher hatte man geglaubt, daß es durch die Entwicklung der Computertechnologie bald zur Realisierung einer Künstlichen Intelligenz kommen wird. Aber man hat gesehen, daß dies sehr viel an
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