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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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    “Wären wir 400 oder 500 Millionen Menschen auf Erden…” (Amery 1994, S. 151). An dieser Stelle beginnt schon SF.
    Bezeichnend ist, daß es in “ Passau ” wiederum die Kirche ist, die die offizielle Geschichtsschreibung übernimmt und damit die moralische Grenze zwischen Siegern und Besiegten ziehen kann 3 . In der Geschichtstheologie des Egid ist die “Wiederherstellung der natürlichen Dinge” (Passau, S. 14) ein Schlüsselbegriff; der Krieg und die sich abzeichnenden politischen Konflikte mit den Reiternomaden werden allerdings nicht als Widerspruch zur Natürlichkeit gedeutet.
    Die Schlacht, die am Ende des Romans entbrennt, wird ausgetragen zwischen den “gottlosen” Passauern und den frommen Rosmern. Diese Information erhält der Leser aus der Quelle der Chronik des Egid, die aus dem Lateinischen, das Ähnlichkeiten mit dem Latein der Merowinger aufweist, übersetzt wurde. Diese Quelle und die Erklärung der Ursache der Seuche, die in “MAMUS” versteckt ist (vgl. 5. 1.) sind das rationale Element, mit dem die Katastrophe auch für den Leser dokumentiert und begründet wird.
    Der Anachronismus der lateinischen Quellendokumentation spricht der Geschichte die Eigendynamik ab: alles wiederholt sich zur Erfüllung eines schicksalshaft vorgezeichneten Weges. Nach der mittelalterlichen Periode wird sich die Neuzeit entwickeln und damit wird auch wieder das Problem der Überbevölkerung aktuell. Würde Amery den Roman fortsetzen wollen, müßte er erneut Kunstgriffe anwenden, um dem Handlungsablauf eine überraschende Wendung zu geben.
    Die Natur des Menschen ist es, nur im Widerspruch mit der ihn umgebenden Natur zu existieren; diese Ansicht ist der Ausgangspunkt der philosophischen Anthropologie von Amery. Aus dieser Prämisse folgert der Religionsphilosoph Georg Picht: “Wir stehen also vor der Paradoxie, daß wir denselben Prozeß befördern müssen, von dem wir wissen, daß er die Menschlichkeit des Menschen zerstören und damit auch sich selbst aufheben könnte.” (Picht in: Apel/Böhler/Berlich 1980, S. 457). In Passau werden die Selektionsbedingungen, denen die Menschen unterworfen sind, auf eine naturharmonische Basis zurückgewendet.
    “Und tatsächlich waren die ersten Weisheiten, die ersten skills der Menschheit keineswegs das, was wir Produktionszuwachs nennen würden. Ihre ersten Weisheiten bezweckten die möglichst flexible Anpassung an die Ressourcen aus laufenden natürlichen Einkommen - ohne sogenannte ‘Veredelungs-Prozesse’” (Amery 1985 a, S. 349).
    Auf dieser Basis bewegen sich die Rosmer am Anfang der Novelle; die Wende wird aber schon früh in einer Bemerkung Lois’gekennzeichnet: “Man muß wieder politisch denken.” (Passau, S. 12). Die Unorganisiertheit eines Personenverbandstaates ist für politische Aktionen nicht geeignet. Amery hat in seinem Roman Fragen aufgeworfen, die gerade in unserem Jahrhundert an Dringlichkeit zunehmen; niemand kann absehen, ob der Mensch noch weiter degeneriert, wie die Bewohner Passaus, oder ob er sich weiterentwickelt zu “etwas”, was momentan noch nicht absehbar ist. Die Frage, ob die Entwicklungen in Passau zwangsläufig waren wie in “A Canticle for Leibowitz “, oder ob die Rosmer eine Chance für einen Neuanfang hatten, kann nicht geklärt werden. In Millers Vorlage sind die Menschen durch die Erbsünde belastet, so daß der Brudermord unausweichlich ist. Amery sucht die Ursachen näher am Tatsächlichen: “Die zwei sind reingefallen, beziehungsweise, diese Nachkommen sind reingefallen. “ (Amery-Interview 1995, S. 3). Der Neuanfang war eine reale Chance, doch sie wurde nicht genutzt, weil traditionelles Denken auf eine veränderte Situation übertragen wurde, diesmal mit verkehrten Vorzeichen: nicht der technologische Fortschritt überfordert die politische Verwaltung, sondern der plötzliche “Rückschritt”, dessen Möglichkeiten von Lois erkannt werden. Doch auch er hat sich von der Vergangenheit nicht gelöst.
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    5.3. Inkonsequenter und ökologischer Materialismus
    “Indem sich Science Fiction um jede Bestimmtheit des Gesellschaftlichen herumdrückt, vertreibt sie alle Geschichte. Jenseits des Kapitalismus existiert nichts als die Abenteuer von Technik, Wissenschaft und entfesseltem Geist.” (Pehlke/Lingfeld 1970, S. 66). Die SF-Romane Amerys sind besonders geeignet, den umfassenden und einseitigen Vorwurf von Pehlke und Lingfeld zu widerlegen.
    Amery ist Vertreter eines “ökologischen

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