Im Informationszeitalter
Materialismus” 4 , mit dem er sich eine Basis schafft, von der aus er sowohl Entwicklungen des Kapitalismus als auch des Marxismus kritisch beleuchten kann. Heute würde er nach eigenen Angaben den Begriff nicht mehr so nennen, obwohl sich das Problem nicht aufgelöst hat: “Der Kapitalismus ist vorläufig
übriggeblieben, weil er geschmeidiger ist. Eine Auflösung gibt es nicht. Die Frage weicht auf im biosphärisch-ökologischen Kontext” (Amery-Interview 1995, S. 11).
Das kapitalistische System ist im Text eindeutig in der Stadt Passau realisiert: das Konsumverhalten erschöpft die Ressourcen, woraufhin die Agressivität der Expansionsbestrebungen zunimmt. Die Stadt Passau vertritt durch den Versuch, das Industriesystem zu reanimieren, die Position, die Amery als “inkonsequenten Materialismus” bezeichnet (Amery 1985 a, S. 365); ein besonderes Kennzeichen ist die Kurzsichtigkeit der Planung.
“Die Dialektik heißt: Der Mensch kann überleben als Spezies, als Krone der Schöpfung, wenn er weiß, das er sie nicht ist. Nur das distinguiert ihn, daß er das weiß. Der Löwe oder der Ameisenbär weiß daß vermutlich nicht. Was also durchaus im Zugriff der Einsicht liegt, daß wir also nicht die Krone der Schöpfung sind in dem Sinne, daß wir machen können, was wir wollen. Diese MetaÜberlebenstaktik, das ist das Entscheidende und das unterscheidet grundsätzlich vom Kapitalismus.” (Amery-Interview 1995, S. 12).
So aktualisiert Amery 1995 seinen Begriff vom ökologischen Materialismus mit der Forderung einer langzeitigen Planung, die nicht durch eine anthropozentristische Sicht beherrscht wird.
Der kapitalistischen Gesellschaft steht in der Erzählung allerdings nicht die marxistische gegenüber, sondern zunächst eine Gesellschaft nach den Prinzipien des ökologischen Materialismus (vgl.: Amery 1985 a, S. 364 - 367), die nach der Katastrophe ihre große Chance hat:
“Die sinnvolle Alternative zum Großprojekt ist das Kleinprojekt.” 5 (Amery 1985 a, S. 357). Die Rosmer produzieren ausschließlich für den Eigenbedarf und nur innerhalb ihrer Möglichkeiten; zudem zeichnet sie aus, daß sie in egalitären Strukturen leben und ihnen auch die Feinheiten politischer Strategien 6 fremd sind; sie haben sie ersetzt durch eine naive Mündigkeit im Umgang mit ihrer Lebenswelt. Der “Scheff” begeht den Fehler, Einfachheit mit Dummheit zu verwechseln und unterschätzt dadurch Lois von Grund auf. “Zukunftsschrott ist meine Bezeichnung für eine kulturelle Situation, die durch eine schnell fortschreitende Erosion der kollektiven Intelligenz gekennzeichnet wird. … Zukunftsschrott ist genau das, was nach dem Zukunftsschock kommt.” (Postman 1988, S, 186). Huxley’s “ Schöne Neue Welt ” erscheint 1932, als sowohl in Deutschland, Italien, aber auch in der Sowjetunion auf verschiedene Art und Weise “intellektueller Selbstmord” begangen wird. 1960 erscheint “ Wiedersehen mit der Schönen Neuen Welt ” und es zeigt sich, daß die Neuauflage des Themas zeitlos ist. Im Unterschied zu Orwell werden bei Huxley die Menschen nicht durch Schmerzen, sondern durch das Vergnügen kontrolliert.
Der Geist einer Kultur kann vor allem durch zwei Arten zugrunde gerichtet werden: indem man die Kultur zum Gefängnis macht und/oder indem man die Kultur zum Variete macht. Die erste Variante wird von Amery bereits im “ Königsprojekt ” durch den Hermetismus einer klerikalen Gruppe vorgestellt. Kultur als Variete, das bunter und angenehmer ist als ein naturangepaßtes Leben wird in diesem zweiten Roman besprochen (auch in Lems “ Kongreß ” steht der Aspekt einer ablenkenden und unterhaltenden Kultur im Vordergrund).
“Stolz und Vertrauen. Das habe ich geschaffen. EliteBewußtsein. Und - daraus vielleicht eine Tech - eine Tech - nologie, die von Dauer ist. Mittelalterliches
Niveau ungefähr. Barockes, vielleicht.” (Passau, S. 76). So offenbart sich Lois’ der betrunkene “Scheff”. Ziel ist also wieder eine elitäre und technologiegestützte Zivilisation, die sich unweigerlich wie die vergangene verhalten wird.
Seit dem Verfassungskreislauf nach Platon ist bekannt, wie leicht anarchische Zustände in eine Tyrannei münden können 7 . Eine Besserung ist nach Platon nur zu erhoffen, wenn die wahren Philosophen an die Macht kämen, oder die politisch Mächtigen zu Philosophen würden. Tatsächlich sind in den Anfängen von Passau und Rosenheim die “politisch Mächtigen” Vertreter von
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