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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Wortes “Roboter” im 15. Jahrhundert bedeutet? Und: warum hätte man genau dieses Wort aus einer unendlichen Zahl anderer Wörter auswählen sollen? Trottelreiner ist wie Lem in dem Teufelskreis gefangen, daß die Semantik neuer Wörter wie auch die Entdeckung einer neuen Perspektive nur eine Verlängerung/ Modifizierung dessen sein kann, was bis zum Augenblick der Gegenwart erfahrbar ist.
    Aus der “Beingeisterei” entwickelt Trottelreiner eine Denkrichtung, in der sich der Mensch aus platzsparenden Gründen zum “Homo sapiens monopedes” weiterentwickeln soll. Hintergrund der Gedanken ist aber ein Problem seiner empirischen Gegenwart, nämlich der Platzmangel durch Überbevölkerung. Was hätte der mittelalterliche
    Mensch unter “Beingeisterei” verstanden, der das Problem der Überbevölkerung nicht kannte? Ebenso könnte der zukünftige Mensch unter dem semantisch nicht belegten Begriff etwas ganz anderes verstehen (beispielsweise ein zweites, in das Bein ausgelagertes Gehirn). Lem läßt den Leser durch seine doppelbödige Ironie im Unklaren über den Anspruch von Trottel-reiners Thesen:
    1.    Zum einen hat Ironie bei Lem einen abschwächenden Charakter: da er manche Themen um seiner wissentschaftlichen Glaubwürdigkeit willen nicht direkt bearbeiten möchte, schreibt er fiktive Rezensionen zu fiktiven Bücher über genau diese Themen (z. B. über eine universelle Statistik der Menscheit in “Eine Minute der Menschheit”). Dem Vorwurf der Absurdität kann Lem damit immer wieder durch den Verweis auf die Uneigentlichkeit der Texte entgehen; wie in der Theorie der Romantiker kann er dabei seine Sehnsucht nach dem Absoluten in dem Wissen ausführen, letzteres nie erreichen zu können.
    2.    Zum anderen nutzt Lem die Ironie, um seine Gegenposition zu einem Standpunkt klar zu machen “Sprach- und Kulturimmanenz, notwendiges Resultat eines Rückgangs hinter die Gegenwelt des Phantastischen, heißt bei ihm: Konzentration auf eine aus den uns zur Verfügung stehenden Zeichen zusammengesetzten Wirklichkeit…” (Piechotta in: Marzin 1985, S. 141).
    Lems Thesen lassen sich, bezogen auf die seiner Romanfigur Trottelreiner, so zusammenfassen:
    1.    Die Welt des Zeichens ist die einzige uns zugängliche Welt.
    2.    Eine innersprachliche Beziehungswelt muß an eine außersprachliche Instanz gebunden sein.
    Diese Thesen scheinen im Widerspruch zueinander zu stehen. Einen Sinn erhalten sie, wenn sie auf Lems schriftstellerisches Ziel übertragen werden: durch literarische Experimente sucht er Wege nach neuen Perspektiven, indem er versucht, das Noch-nicht-mögliche innerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit zu umreißen. Zur Verfolgung dieses Zieles gehört ein gewisser Hochmut, den er mit den Versuchen Wittgensteins, mit der Philosophie gegen das Gefängnis der Sprache anzugehen, teilt. “I am not interested in so-called linguistic poetry which creates an autonomous world that does not refer to anything existing outside this poetry.” (Interview mit Lem in: SFS 1983, S. 5). Der Übertragbarkeit der Modelle kommt damit eine entscheidende Funktion zu: Schemata der Wirklichkeit sollen ausdehnt werden, soweit, wie diese es zuläßt. Wie gegen den Strukturalismus entscheidet sich Lem schließlich gegen den linguistischen Ansatz, nicht aber ohne mit dessen verlockenden Möglichkeiten gespielt zu haben. Trotz des natavistischen Sprachansatzes ist für ihn die natürliche Sprache nichts weiter als ein von Menschen erprobtes und mit Bedeutung beladenes Kommunikation s- und Signalsystem. Dem Vertrauen, daß Philosophen wie Husserl oder Heidegger in die Sprache setzten, steht er mißtrauisch gegenüber: “Ich hege großes Mißtrauen gegen die Verabsolutierung von Informationswissen, das man aus dem bloßen Sprachbereich ableiten kann.” (Lem 1986, S. 316).
    Im nächsten Kapitel wird dieses Mißtrauen expandiert auf das Problem der Informationsverarbeitung im allgemeinen und die möglichen gesellschaftlichen Konsequenzen. Lem entwirft eine Gesellschaftsform, die in die Linie Orwells, Huxleys und Samjatins eingereiht werden kann.
    Als Anmerkung zu diesem Kapitel läßt sich noch anfügen, daß die Sprachkritik Lems sich auf die natürlichen Sprachen konzentriert. Der Mensch selbst ist nicht fähig, über seine eigene Sprache hinaus eine Metasprache zu entwickeln, die eine Verbesserung der ethnischen Sprachen ermöglicht. Dagegen ist nach Lems Ansicht der biologische Code eine mächtige Sprache, die man

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