Im Informationszeitalter
umfassende empirisch begründete Theorie des literarischen Werkes zu schaffen). In Form eines Dialoges fügt Lem seine Auffassung über das Verhältnis von Sprache, Wahrnehmung und Wirklichkeit in seine Erzählung ein.
Im “ Kongreß ” versucht der ehemalige Futurologe und streckenweise Gefährte Tichys Professor Trottelreiner, die Sprachwissenschaft zum Instrument einer neuartigen Prognostik zu machen, indem er nach grammatikalischen Gesetzen neue Worte bildet und anschließend versucht, ihre mögliche semantische Bedeutung in der Zukunft abzustecken. Daß es zu diesen Begriffen keine mentale Repräsentation geben kann, stört ihn dabei nicht. Die Chiffregestalt der Umwelt wird bei Trottelreiner zum Spiel mit selbstreferentieller Semantik; Wirklichkeit wird durch ihn einer Welt unterworfen, in der das Zeichen wichtiger ist, als der Inhalt. Lem kann hier der Kunst seiner Sprachschöpfungen freien Lauf lassen, gleichzeitig hat er in ihnen ein Medium für Satire. Die Diskussion der linguistischen Prognostik ist kein notwendiger Bestandteil der Erzählung - vielmehr ist sie ein Exkurs zu einem Gedankenexperiment, das er lose an den Text angefügt hat.
In “ Vollkommene Leere ” stellt Lem fiktive Rezensionen zu fiktiven Werken zusammen. Den Gedanken, den er im “ Kongreß ” mit Trottelreiner auf der Wortebene hat beginnen lassen, wird dort auf der Werkebene vollendet. In “ Nichts oder die Konsequenz” klagt Lem über die Bodenlosigkeit der “grammatischen Maschine”, der “Mühlsteine der Substantive” und der “Treibräder der Syntax” (Lem 1973, S. 89). Damit bezieht er Position zu dem Vorwurf Barnows, der wie Lem selbst in den “ Science Fiction Studies” veröffentlicht: “Contemporary SF … has failed to invent a new syntax adequate to the cognitive potentiality of our social and scientific experience.” (Barnow in: SFS Juli 1979, S. 154). Das Problem ist also, wie diese “neue Syntax” gestaltet sein muß: bislang entziehen sich die Mechanismen natürlicher
Sprachen noch erfolgreich jeglicher vollständigen Formalisierung.
Der “frühe” Wittgenstein, den Lem sehr bewundert, dessen Sprachhermetismus er aber kritisch gegenübersteht, versucht, das Wesen und die Grenzen der Welt in das Wesen und die Grenzen der Sätze zu verlegen. Die Realität der von Trottelreiner analysierten Worte ist nicht existent; ein Wort oder Satz kann ohne Referenzbereich keine Bedeutung erlangen. Also muß im Sinne des “späten” Wittgensteins die Sprache selbst die Realität schaffen. 15
Zwei Regeln für Sprache und Information werden für die Welt im “ Kongreß ” aufgestellt:
1. Die Bedeutung wird von der Wirklichkeit getrennt und bleibt verborgen.
2. Die Sprache kreiert eine Wirklichkeit, die den ausschließlichen Rahmen von Bedeutungsrelationen definiert.
In dem folgenden Dialog zwischen Tichy und Trottelreiner will letzterer ihm diese Theorie erläutern:
“- ‘…Bitte ein anderes Wort.’
- Bein.’
- ’ Gut. was geht mit dem Bein? Beinler. Beinmal, allenfalls Beinmal eins. Beinigel. Beinzelgänger. Beinzeln und sich beinigen. Beingängig. Verbeinert. Bein dich! Beinste? Beinerlei! Beingeist. Beingeisterei.’
- ‘Was heißt denn das alles? Die Worte haben doch gar keinen Sinn?’
- ‘Noch nicht. Aber sie werden einen haben, das heißt, sie können unter Umständen Sinn gewinnen, sofern sich
Beingeisterei und Beintum durchsetzen. Das Wort ‘Roboter’ hat im 15. Jahrhundert nichts bedeutet, aber wenn die Leute damals die linguistisch orientierte Futurologie gekannt hätten, dann hätten sie beim Robotern die Automaten vorhersagen können!’” (Kongreß, S. 104).
Lem spottet bevorzugt an den Stellen, an denen er selbst eine Grenze nicht überschreiten kann. Er macht sich auf der einen Seite über Sprachhermetismus lustig und weist zugleich auf die Probleme der Wirklichkeitserfahrung und der Medial-Theorie (Wirklichkeit ist nur über das Medium zu erfahren; Brechungen und Verzerrungen in der Erfahrung sind somit die Wirklichkeit) hin. Er sperrt auf der einen Seite Sprache und Welt in ein gemeinsames geschlossenes System ein, will sich auf der anderen Seite aber im literarischen Experiment über die selbstdefinierten Grenzen hinwegsetzen. Trottelreiner wird (ähnlich wie Trurl und Klapauzius) zum mittelalterlichen Sprachmagier, der Gegenstände und Ereignisse “herbeizaubert”, indem er ihnen Namen gibt. Denn: was hätte die Erfindung des
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