Im Informationszeitalter
hinaus auf Tendenzen der Wirklichkeit betont. Kernstücke kulturkritischer Ansätze sind dabei die zur Diskussion freigegebenen Wertvorstellungen der Autoren. Auf die Grundlage der Wertvorstellungen beider Autoren, in ihre unterschiedliche Auffassung vom Sinn der Existenz, ist im vorigen Kapitel eingegangen worden. In diesem Kapitel sollen die Konturen dieser Werte in bezug auf die Gegenwart umrissen werden, um dann im nächsten Kapitel in einem Fazit zusammengefaßt zu werden. Kulturkritische Elemente sind Amery und Lem gemeinsam:
> In “ Passau ” trifft eine Kultur, die technologiegestützt lebt auf eine andere, die ihre “Wurzeln” gefunden hat, d. h. die in den Grenzen ihrer Möglichkeiten lebt. Schließlich verläßt sie diese wieder in einer Wiederbelebung der untergegangenen Kultur.
> In “ Kyberiade ” diskutiert Lem spielerisch abstrakte Werte wie das institutionalisierte Glück in bezug auf ihren Relativismus, auf eine Transzendenz, auf Verantwortung und Selbstbestimmung.
> In “ Königsprojekt ” wird ein besonderer Teil der Kultur, dessen Aufgabe die “Verwaltung der Transzendenz” ist, in seiner Fehlfunktion beschrieben.
> Im “ Kongreß ” wird die Medienkultur kritisiert, die mit einer Informationsflut über bestehende Probleme hinwegtäuscht.
Die Mehrzahl der SF-Literatur versucht Fragen einer Kulturkritik weitgehend zu vermeiden: Demokratisch regierte Staatswesen beispielsweise kommen selten vor und funktionieren meist nicht recht; ihre Regierungen
und Parlamente erweisen sich in der Regel als zu dumm oder zu schwerfällig, um die anstehenden Krisen zu meistern: “Die weitaus häufigeren
Diktaturen und Oligarchien sind nicht nur leistungsfähiger, sondern erfreuen sich auch allgemeiner Wertschätzung seitens ihrer Bürger.” (Jehml ich/Lück 1974, S. 30). Viele SF-Autoren machen es sich dadurch leicht, daß sie ihre Helden in oder gegen eine feudal organisierte Gesellschaft positionieren. In diesen Gesellschaften setzt sich der Stärkere viel leichter durch; somit ist auch die Identifikation mit dem Helden, der sich über das (selten vorhandene) Rechtssysten hinwegsetzt, für viele Leser sehr reizvoll. Die Begründung einer Demokratieform bedarf analytischen Denkens, das auch beim Leser die Gefahr der Langweile verursacht, denn nicht nur der Autor bevorzugt schnelle und unkomplizierte Lösungen 1 . Amery und Lem lehnen beide die schnelle und unkomplizierte Lösung ab und stellen sich Fragen höchster Komplexität, wenn sie versuchen, Strukturen der gegenwärtigen menschlichen Kultur zu analysieren.
Der Begriff der Kultur bezieht sich auf die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft. Die politische Kultur kann sich zum einen auf aus der Gemeinschaft hervorgehende Bestrebungen beziehen, die sich auf die politische und soziale Gestaltung des Lebens beziehen (beispielsweise Bürgerinitiativen); auf der anderen Seite können mit diesem Begriff auch Wertvorstellungen im Hinblick auf Kultur beschrieben werden, die im Gegensatz zu alten Wertvorstellungen stehen. Dieser letzte Aspekt ist entscheidend für die
Kulturauffassung beider Autoren, die beide nicht von der Kultur einer Gemeinschaft, sondern von der menschlichen Kultur überhaupt ausgehen.
In “Philosophie des Zufalls ” unterzieht Lem den Begriff der Kultur einer umfangreichen Analyse. Parallel zu Amery stellt er dabei fest, daß es keinen Menschen ohne Kultur gibt, daß aber im Gegenzug der Mensch nicht nur ein kulturelles Geschöpf ist, sondern ein biologisches. Eine Kultur ist notwendig für das Überleben der Gattung Mensch, doch werden ihr durch biologische Schranken im Rahmen eines autoregenerierenden Mechanismus Einhalt geboten. Amery und Lem weisen darauf hin, daß mit überzogenem Anthropozentrismus die regenerative Eigenschaft der Biozönose unterbunden wird, denn heute ist es der Mensch, von dem sich die Natur erholen muß. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Natur: wenn sie, so Lem, in der Lage ist, lebenserhaltend im umfassenden Sinn zu sein, so bedarf es einer Übernahme von Verantwortung durch eine Selbstregulierung der Zivilisation. Dazu ist die industriell geprägte Kultur noch nicht in der Lage, da sie selbst von den Ereignissen überrollt wurde und tradiierte Politik auf veränderte Verhältnisse anwendet.
In der SF wird diese Entwicklung durch eine Vielzahl katastrophischer Visionen wiedergegeben, eine Tendenz, die Lem als
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