Im Informationszeitalter
besteht darin, daß die biologische partielle Indeterminiertheit den Menschen zwingt, eine Kultur zu schaffen, und daß diese Kultur, sobald sie entstanden ist, sofort durch ihre Bewertungen zwischen den biologischen Eigenschaften des Menschen zu differenzieren beginnt. Die einen Körperteile werden auf dieser Wertskala höher, andere niedriger loziert; den einen menschlichen Funktionen wird Würde zugemessen, den anderen wird sie genommen. Es gibt keine Kultur, die den anthropogene tisch gegebenen Organismus des Menschen ‘demokratisch’, nach gleichem Recht, ohne die geringsten Vorbehalte gutgeheißen und damit den Menschen in seiner Indeterminiertheit, die ergänzt werden muß, zur Kenntnis genommen hätte. Jede Kultur formt und vervollständigt den Menschen, aber nicht entsprechend dem tatsächlichen Zustand, denn sie bekennt sich nicht zu den eigenen Erfindungen und Entscheidungen im Repertoire ihrer Willkürlichkeit; in vollem Ausmaß wird diese Willkürlichkeit erst von der Anthropologie entdeckt, wenn alle diese Kulturen, die in der Geschichte der Menschheit entstanden sind, erforscht.
Jede Kultur verkündet, sie wäre die einzige und unerläßliche - und genau auf diese Weise stellt sie ihr Ideal des Menschen auf. Dieses Ideal ist aber nicht in jeder Beziehung für den Menschen bequem. Dieses Phänomen der ‘Nicht-Angepaßtheit’ deutlich zu machen, ist außerordentlich schwierig, denn es hat einen kreisförmig-rückkoppelnden Charakter: Indem der Mensch sich ergänzt, also restlos determiniert, verlagert er gleichzeitig seine eigene Natur in der für diese Kultur charakteristische Richtung. Dadurch wird er zum Schuldner ihres Ideals, zu einem nicht ausreichend zahlungsfähigen Schuldner. Aber indem er sich in die von der Kultur gewiesene Richtung verlagert, betrachtet sich der Mensch von dieser neuen Warte aus; er sieht aus der Distanz der Religion, aus der Perspektive der Sitten und Bräuche, also nicht als ein bestimmtes materielles System, nicht als ein unvollständig programmierter Homöostat, der von der Kultur zusammengeflickt wurde, sondern als ein Wesen, das bestimmten axiologischen Gradienten unterworfen ist. Er hat sich diese Gradienten selbst ausgedacht, denn er mußte irgendwelche erfinden, und jetzt formen sie ihn, nun schon in Übereinstimmung mit der ihrer Struktur eigenen Logik und nicht mit der Triebstruktur des Menschen.” (Stanislaw Lem: Phantastik und Futurologie II, Frankfurt a. M. 1984 (polnische Erstausgabe 1964), S. 597-599)
Dieses etwas lange Zitat schien mir deswegen angebracht zu sein, weil es wenigstens grundsätzlich erklärt, warum man die Entstehung der Kultur nicht simulieren kann. Sagen wir, was noch hinzuzufügen ist. Ich stelle hier nur eine Konstante fest, aber kümmere mich nicht um die Entdeckung von Ursachen, aus denen sie entsteht. Es ist also so, daß eine Kultur mit der Herstellung von Werkzeugen im Eolithikum begonnen hat. Im Paläolithikum begann man diese bereits zu behauen. Und mit den
Werkzeugen und den Tätigkeiten, denen sie dienten, begann von Anfang an eine “Dunstwolke” der Immaterialität zu entstehen. An den Werkzeugen kann der Archäologe aber deren Spuren nicht bemerken, weil der “Dunst” mitsamt dem Tod der damaligen Menschen verschwindet.
Platonismus oder Konstruktivismus
Zuerst wird dieser “Dunst” in den GRÄBERN sichtbar, in die man zu den Leichen Waffen und Nahrung legte, damit der Verstorbene irgendwie sein Dasein nach dem Tod fortsetzen kann. Eine andere Erklärung für die Beigaben der Verstorbenen kennen wir nicht, und wir können uns auch keine andere vorstellen. Die ältesten Gräber sind ALS menschliche bereits vor mehreren zehntausend Jahren entstanden, obwohl es schwierig ist, ein genaueres Datum zu bestimmen. Gegenwärtig geht man davon aus, daß vor etwa 15000 bis 20000 Jahren die Ursprache entstanden ist, die sich dann schnell mit den Wanderungen der Urmenschen über (fast) die ganze Erdkugel in die “lokalen” Sprachen aufgespalten hat. Hier verbirgt sich schon eines der Rätsel, da man kaum glauben wird, daß ein Glaube in der vorsprachlichen Stummheit, also vor der Sprache, entstanden ist. Vor uns schießt daher ein Wald von Hypothesen hoch, in den wir aber nicht hineingehen werden, weil man nicht annehmen wird, daß vor der Erfindung der SCHRIFT flüchtige “metaphysische” Glaubensvorstellungen irgendwelche Spuren hinterlassen haben. Es sind zwar einige Spuren bis heute (z.B. Menhire) erhalten, aber sie
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