Im Informationszeitalter
dieser “Seuche des Informationsbösen” beitragen.
Mache ich selbst es nicht richtig, wenn ich dieser Frage so viel Aufmerksamkeit schenke? Ich denke nicht, daß es so sein sollte. Die sich im unseren
Jahrhundert wiederholenden Völkermorde weisen leider auf eine positive Korrelation hin, die den Zivilisationsfortschritt mit der Zunahme der Gefahren verbindet. Die Menge der Tatsachen ist so groß, daß sie eine nur zufällige Verbindung des einen Trends mit dem anderen ausschließen. Die Computer, die in unser gesellschaftliches und privates Leben eingedrungen sind, bevor sie durch die Vernetzung die globalen Informationskurzschlüsse zu schaffen begannen, zeigten ihre für alle technische Produkte typische Zweischneidigkeit. Ihre vorteilhafte Vorderseite wird von der vielleicht manchmal sogar fatalen Rückseite begleitet. Die Zeit, als Jungen mit flinken Fingern alle “Schutzmauern” überlisteten und in die Zentralen von Generalstäben, also in die Zentralen des Weltuntergangs mit der Dunkelheit des nuklearen Winters, einschleichen konnten, ist noch nicht ganz vergangen. Vielleicht sollte man nicht mit so düsteren Akzenten diese Bemerkungen über das Internet beenden, das noch “in den Windeln” steckt. Aber es gibt noch einen Aspekt, an den man denken sollte.
Sehnsucht nach dem Wirklichen
Durch die Befürworter des globalen Computernetzes wird oft die Situation der nahen Zukunft angepriesen, in der ein Mensch von Zuhause aus Zugang zu allen Bibliotheken und auch Videobibliotheken der Welt haben kann und sich dem intensiven Gedankenaustausch mit einer großen Menge von Menschen dank der verbesserten Email widmen kann. Er kann Kunstwerke, die Bilder der Meister, betrachten und selbst ausgeführte Zeichnungen oder Bilder in alle Richtungen der Welt schicken; er kann intensiv wirtschaftlich tätig sein, irgendwelche Wertpapiere und Aktien kaufen und verkaufen; er kann entzückende
Personen des anderen Geschlechts verführen oder von ihnen verführt werden und manchmal wohl nicht sicher sein, ob er es mit erotischen Phantomen oder mit Personen aus Fleisch und Blut zu tun hat; er kann ferne Länder und ihre Landschaften betrachten … und so weiter. Er kann das alles ohne das kleinste Risiko (vielleicht ein finanzielles ausgenommen) machen, aber er bleibt doch einsam. Und das, was er erlebt, ist das Ergebnis einer riesigen Ausweitung, einer planetarischen Vergrößerung seines Sensoriums.
Falls das alles so ist, kann ich nur sagen, daß ich nicht für alle Schätze der Welt bereit wäre, mit einem so beglückten Menschen, der so wunderbare und gleichzeitig so illusorische Chancen der Erfüllung aller seiner Wünsche hat, zu tauschen. Sicherlich wird es schwierig sein, die elektronische Verbindung “mit allen und allem” einfach als einen technisch vervollkommneten Betrug zu bezeichnen, aber wo es in der Zukunft zum Austausch der wirklichen Natur mit ihrem vollkommenen Ersatz käme, wo der Unterschied zwischen dem, was natürlich, und dem, was künstlich ist, zu verschwinden beginnt, wird in der mit Elektronik und Zaubereien vollgestopften Einsamkeit vielleicht der depressive Wahnsinn lauern -als Verlangen nach Authentizität, als Durst nach echtem Risiko und nach wirklichem Kampf mit den Widrigkeiten des Lebens. So fatal wird wahrscheinlich diese Entwicklung nicht enden, doch über ihr mögliches Ziel sollte man schon heute, wenn auch nur einen Augenblick lang, nachdenken.
Die Simulation der Kultur
Stanislaw Lem 19.08.1997
Um die Welt und ihre Entwicklungen besser verstehen und steuern zu können, wird derzeit alles simuliert, was nur möglich ist. Stanislaw Lem fragt, ob Entstehungs- und Entwicklungsprozesse der menschlichen Kultur sich wegen ihrer Einzigartigkeit und Komplexität nicht prinzipiell der Simulation entziehen.
Gegenwärtig ist “die Computersimulation von allem”, von den Schicksalen der Welt in hundert Milliarden Jahren bis zur Evolution der Viren, zu einer Mode geworden. Kein Wunder also, daß MIT Press, der Verlag einer im übrigen erstklassigen Universität in USA, sich an das Redigieren und Veröffentlichen einer Serie von Werken machte, die der Kultursimulation gewidmet sind. Es ist schon merkwürdig, daß MIT Press mir, als dem “Kenner” (Gott weiß warum), eine Arbeit des Herrn N. Gessler mit der Bitte um eine Beurteilung zusandte. Da der Autor mir bereits vorher direkt eine Kurzfassung seiner Arbeit, die über das (digitale) Simulieren der Kultur geht, geschickt hatte,
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