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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Lenkung dünner Fäden nachahmt. Das ergibt keinen guten wissenschaftlichen Sinn.
    Die Beliebtheit, irgend etwas simulieren zu können, ist ein Hohn auf die wissenschaftliche Methode, weil man damit nur verwirklicht, was wir SELBST als Ausgangskultur in den protokulturellen Topf hinein gelegt haben, auch wenn es so erscheint, als würde es nicht anders gehen. Das kann man nicht dem Popperschen Falsifikationstest eines Experimentes unterziehen, und jemand, der ein anderes Programm als wir hat, erhält auch ein anderes Ergebnis. Das gleicht einer Computersimulation von Geistern, Vampiren, Dämonen und des Jenseits: Wie man sich bettet, wird man auch schlafen. Man kann mit den der Wissenschaft dienenden Werkzeugen Experimente im Popperschen Sinne nicht ersetzen. Man kann also die Kultur nicht simulieren.
    So gewiß es ist, daß der Mensch im Mittelalter keine Atomenergie befreien konnte, so sicher ist, daß man keine Simulation beginnen kann, ohne über ein effektives Simulationsprogramm der Sprachgenese zu verfügen. Es geht selbstverständlich nicht um die Verwendung von irgendwelchen bereits existierenden Zeichensystemen, die den Sinn der Designation reproduzieren können und die für syntaktische Zerlegung sowie für die Selektion der konnotativen und denotativen Semantik geeignet sind. Es geht darum, daß sich die vorsprachliche Phase schon bei den Tieren als “Begriffsnebel” zeigt und die Sprache gewissermaßen dessen Kondensat, Verflüssigung oder reproduktives Derivat ist.
    Wie bereits den Psychologen gut bewußt ist, ist ein individuelles psychisches Leben IMMER reicher als die Sprache, was bedeutet, daß sich die Differenzierung der geistigen Bewußtseinszustände in der sprachlichen Form nicht völlig angemessen wiedergeben läßt. Es bleibt immer etwas Unaussprechliches und nicht ganz sprachlich Formulierbares in unserem psychischen Leben. Man kann es daher höchstens irgendwie erahnen, weil unsere Gehirne sich ziemlich ähnlich sind. Schon aus diesem Grund können wir auch ohne Sprache einfacher einen anderen Menschen als eine Giraffe oder einen Tintenfisch verstehen - und nicht nur deswegen, weil unser Gehirn Milliarden von Verbindungen enthält und das Zentralnervensystem eines Tintenfisches relativ arm ist, auch wenn es ihm zum Überleben reicht.
    Die philosophische Phänomenologie kann hier nichts beitragen. Der vorsprachliche psycho-soziale Zustand geht in uns völlig unbekannten Weisen in einen sprachlichen über. Es werden sich natürlich
    gleich Eiferer finden, die elementare Signale der gestischen Quasi-Sprache (z.B. bei Schimpansen) schon für eine gute Nährlösung der Kultur und ihrer Simulation halten, um so mehr, wenn man System-und Herdenverhalten, was jeden Tag geschieht, mit kulturellem Verhalten gleichsetzen kann. Aber dann verhalten sich nicht nur Delphine und Affen, Hamadryas, Tauben und Störche “kulturell”, da man doch ihre Brunsttänze sieht.
    Wenn man einen offenen Sack hat, kann man irgend etwas, also alles hinein schütten. Die Kultur des Menschen ist in allen ihren sowohl synchronischen wie auch diachronischen Varianten letztlich irgendein Derivat der menschlichen Biologie. Wenn wir wie Engel fliegen könnten, würde diese physio-anatomische Andersartigkeit in den Kulturen sicherlich irgendeine Spur hinterlassen. Und wenn wir unter Wasser wie Orkas gelebt hätten, würde dies auch zu Veränderungen in unserer Kulturproduktion führen. Wir sind jedoch so gebaut und funktionieren so, wie “jeder sieht”, denn die anthropogenetisch sich verändernde Kulturproduktion hängt von der Sprache (weil die Sprache viele Hirnprozesse dominiert) und im gewissen Grade von unserer Nach-Affen-Sehspezialisierung ab: wir waren nämlich schon lange Augenmenschen, bevor wir Gesprächspartner geworden sind …
    Ich behaupte nicht, daß man sprachlos und außersprachlich die Emergenz, der Kulturen überhaupt nicht simulieren könne. Ich will nur ganz vorsichtig sagen, daß eine sprachliche Heftnaht brauchbar wäre, wenn der Nadelstich als eine Vereinfachung im Programm nicht in zu großen Abständen erfolgen soll.
    Simulation von Ge- und Verboten?
    Das allgemeine Bild hingegen, das ich mich zu veranschaulichen bemühe, ist folgendes: Wir haben eine Menge gattungsmäßig bestimmter Tiere, die zu einer Kommunikation fähig sind, die über Signale hinausgeht. Diese Menge verfügt über überschüssige Ebenen der Verhaltensfreiheit, die en masse nicht selbstgefährdend sind, und lebt in

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