Im Informationszeitalter
gut “versteht”, wie man “weiß”. Aber das ist eine Frage des Trainings, das die Gewohnheiten prägt, der Neigung und last but not least der “Vertrautheit” des Objekts.
Wir sind übrigens immer unzuverlässig, und deswegen müssen wir mit der unabänderlichen epistemischen Unsicherheit leben. Andererseits sind das nur die Probleme einer winzigen Minderheit der Menschen, die ihnen gleichzeitig als Stoff für ihre intellektuelle Arbeit von der Mathematik über die Physik der Galaxien bis hin zur Hermeneutik dienen. Diese Bereiche der “Exaktheit” begrenzen die Nebelschleier der Vorurteile und der Mutmaßungen, die sich in der Geschichte von Gruppen oder Gesellschaften zu Glaubensaxiomen versteinert haben.
Digitalitis
Stanislaw Lem 08.11.2000
Kann man ohne Computer noch glücklich sein?
In aller Kürze, aber mit gewisser Boshaftigkeit könnte man sagen, dass heutzutage die Kommunikation alles und der Verstand nichts ist. Verschiedene Netzspezialisten ergötzen sich an der Aufzählung der Bitanzahl sowie an deren Übertragungsgeschwindigkeit im globalen Maßstab. Wie es üblicherweise bei großen technologischen Innovationen vorkommt, scheint alles zuerst sonnig zu sein, dann aber tauchen auf dieser Sonne Flecken auf.
Ich gestehe, dass ich mich unter dem Druck der mir überzeugender erscheinenden Fakten und Tendenzen computerisiert habe und mir ein Fax und ein Modem zugelegt habe. Ich besitze auch ein irgendwo platziertes Postfach für die elektronische Post. Es ist einfach so, dass die elektronische Kommunikation an Bedeutung gewinnt, weil sie vor allem bei Fernverbindungen viel billiger ist als Telefon.
Die Zahl der Fachzeitschriften, die der Digitalära, an deren Schwelle wir uns angeblich befinden, gewidmet sind, wächst ständig. Vielleicht sollte man mit den Flecken auf dieser neuen Sonne beginnen. Alle Arten von Fälschungen, geheimen Absprachen, Betrügereien, Spekulationen sowie das Eindringen auch in die am gründlichsten und von Experten überwachten Datenbanken finden im Internet sehr bequeme Betten und Verstecke, weil es dort einfacher als anderswo ist, die Anonymität des Absenders zu bewahren.
Selbstverständlich können sich auch Dummheiten und Unsinn dank des Internet blitzartig verbreiten.
In Polen befinden wir uns erst am Anfang all dieser Scheidewege, vor allem deswegen, weil die Netzkommunikation, wie übrigens jede andere elektronische Kommunikation auf in hohem Grade von der zuverlässigen Verfügbarkeit der Infrastruktur des Landes abhängig ist. Ich erinnere mich noch an meine Ankunft in Moskau um Mitternacht zu der Zeit, als Andrej Tarkowski den Film nach meinem Roman Solaris zu drehen begann. In dem angeblich erstklassigen Hotel, in das wir gingen, konnte man als Mahlzeit ausschließlich Wodka, Vollkornbrotscheiben und Schwarzkaviar bekommen. Es schien mir damals, dass alle Normen der Ernährung in Hotelrestaurants auf den Kopf gestellt wurden.
Die Versuche, irgendwelche Formen der Zensur im Netz einzuführen, werden in vielen Staaten mit fraglichen, wenn nicht fast vergeblichen Erfolgen betrieben. Vor der Invasion der Inhalte, also der Bilder und Texte mit beliebiger Intensität an verderblicher Unmoralität, kann man sich zwar schützen, aber das ist sehr schwierig, weil das Grundprinzip beim Aufbau der Netze deren Zentrumslosigkeit war und weiterhin ist. Dadurch sollte das Netz gegen informationstechnologische Schläge unempfindlich werden, wobei es damals natürlich nicht um die Rettung vor Pornographie, sondern vor Spionage- und Militärangriffen ging. Damit befinden wir uns in der Lage eines Zaubererlehrlings, der Mächte entfesselt hatte, welche zu beherrschen er nicht mehr in der Lage ist.
Wie das bei jeder allgemein zugänglichen Innovation der Fall ist, kann das Aufbrechen in die Tiefen der Netze den Benutzer in eine manische Abhängigkeit stürzen - und das passiert auch tatsächlich. Ohne den Sessel vor dem Computer zu verlassen, kann man ein Vermögen in einem virtuellen Kasino oder auch an der Börse verlieren. Die Wirklichkeit ist so eingerichtet, dass umgekehrte Effekte, d.h. ein Vermögen auf die vorgenannte Weise zu erwerben, weniger wahrscheinlich sind. Man spricht viel über weniger gefährliche Seiten der digitalen Manie, z.B. wird die Renaissance der Schreib kultur dank elektronischer Post (Email) unterstrichen. Tatsächlich werden viele Briefe geschrieben, und man kann sie wörtlich mit blitzartiger Geschwindigkeit in alle Weltrichtungen senden,
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