Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
fangen« - ein Bild, das nicht ins zwanzigste Jahrhundert paßt. Einmal unterhielten sich ein paar Zigeuner über einen berüchtigten Pferdedieb namens George Bigland, wobei einer zu seiner Verteidigung sagte: »Ich halte George nicht für so schlecht, wie ihr ihn macht. Ich weiß, daß er reichen ›Gorgias‹ Pferde gestohlen hat, aber er würde nie soweit gehen, uns eins zu stehlen.«
    -51-

    Die Zigeuner nennen uns »Gorgias« und sich selber
    »Romanis«, aber ihr Spitzname ist »Didecais« (ich weiß nicht genau, wie es geschrieben wird). Sie können alle Romany und benutzen gelegentlich das eine oder andere Wort, wenn sie von Dritten nicht verstanden werden wollen. Noch etwas
    Überraschendes stellte ich in bezug auf die Zigeuner fest - ich weiß nicht, ob es überall so ist -, daß die Mitglieder ein und derselben Familie einander völlig unähnlich sind. Es ist fast wie eine Bestätigung der Geschichten, daß Zigeuner Kinder stehlen, wahrscheinlicher ist jedoch die Unbestimmtheit der
    Vaterschaft...

    Einer in unserem Schuppen war der alte taube Landstreicher, den wir vor dem Asyl von West Mailing getroffen hatten -
    allgemein »Deafy« (»Taubie«) genannt. Wenn man sich mit ihm unterhielt, war er wie eine »Mr. F's Tante«, und er sah aus wie eine Zeichnung von George Belcher. Dabei war er intelligent und hätte sich bestimmt nicht auf der Landstraße
    herumgetrieben, wenn er nicht taub gewesen wäre. Für schwere Arbeit war er nicht kräftig genug, die letzten Jahre hatte er auch nicht gearbeitet, außer gelegentlich, wie beim Hopfenpflücken.
    Nach seiner Schätzung hatte er sich in über vierhundert Asylen aufgehalten. Ein anderer namens Barrett und einer aus unserer Gruppe namens George waren typische Wanderarbeiter. Die
    ganzen letzten Jahre hatten sie regelmäßig Saisonarbeit getan, zu Anfang des Frühjahrs beim Lammen, dann beim Ernten von
    Erbsen und von verschiedenen Obstsorten, danach Erdbeeren, Kartoffelbuddeln, Rüben und Zuckerrüben. Sie waren selten
    länger als ein oder zwei Wochen arbeitslos, aber schon das genügte, um sich keine Verdienstmöglichkeit entgehen zu
    lassen. Beide hatten keinen Penny, als sie in der Farm von Biest ankamen, und ich habe Barrett bestimmt einen ganzen Tag
    arbeiten sehen, ohne auch nur einen Bissen zu essen. Alles, was bei ihrer Schufterei herausgekommen war, bestand in dem, was
    -52-

    sie auf dem Leib trugen, daß sie auf Stroh schliefen und von Brot, Käse und Speck lebten und es sich vermutlich ein- oder zweimal im Jahr leisteten, sich gründlich zu betrinken. George war ein finsterer Bursche, der sich selber klein machte und noch stolz darauf war, wie unterernährt und überarbeitet er war, und nichts anderes kannte, als von einer Arbeit zur anderen zu wandern. Seine Einstellung war: »Schöne Ideen sind nicht für Leute wie uns da.« (Er war Analphabet und schien Lesen und Schreiben für eine Art von Ausschweifung zu halten. ) Mir war diese Ansicht nicht neu, in Paris war ic h ihr oft genug bei Tellerwäschern begegnet. Barrett, der 63 war, schimpfte
    dauernd, daß die Qualität der Lebensmittel im Vergleich zu früher, als er noch Kind war, miserabel sei. »Früher haben wir nicht so Scheißbrot essen müssen, es gab anständiges Fressen, Ochsenherzen, Speckklöße, Blutwurst, Schweinsohren.« Der
    pappige sehnsüchtige Ton, in dem er »Schweinsohren«
    aussprach, verriet, wieviele Jahre er schon nichts Ordentliches mehr gegessen hatte.
    Neben den regulären Pflückern gab es noch die sogenannten
    »Homedwellers«, d. h. diejenigen, die im Ort wohnten und ganz unregelmäßig zur Arbeit erschienen, so mehr aus Vergnügen
    mithalfen. Meistens waren es Bauersfrauen, und in der Regel konnten sie und die Pflücker einander nie ausstehen. Immerhin war eine von ihnen eine sehr nette Frau, die Ginger ein Paar Schuhe und mir eine tadellose Jacke und Weste und zwei
    Hemden schenkte. Fast alle Ortsbewohner sahen auf uns wie auf den letzten Dreck herunter, und die Ladeninhaber behandelten uns wenig nett, obwohl die Pflü cker mehrere hundert Pfund im Dorf ausgegeben haben müssen.
    Beim Hopfenpflücken verlief ein Tag so ziemlich wie der
    andere. Am Morgen, etwa Viertel vor sechs, kroch man aus dem Stroh, zog sich Jacke und Stiefel an (alles andere behielt man nachts an) und machte draußen Feuer (keine leichte Arbeit in diesem September, wo es immer regnete). Um halb sieben war
    -53-

    der Tee und das getoastete Brot fertig, und wir frühstückten.
    Dann gingen

Weitere Kostenlose Bücher