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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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hausten sieben oder acht, was andererseits den Vorteil hatte, daß es dort wärmer war. Stroh eigne t sich nicht, um darauf zu schlafen (es ist sehr viel durchlässiger als Heu), und Ginger und ich hatten jeder nur eine Decke, so daß wir die erste Woche furchtbar unter der Kälte litten. Später stahlen wir uns soviel Säcke zusammen, daß wir es einigermaßen warm hatten. Von
    der Farm bekamen wir Holz für unser Feuer umsonst, aber nie genug; Wasser mußten wir uns von einer zweihundert Yard
    entfernten Leitung holen, und die Latrine war ebenso weit. Sie war jedoch so verdreckt, daß man lieber eine Meile gelaufen wäre, statt sie zu benutzen. Es gab einen Fluß, in dem man Wäsche waschen konnte, aber zu einem richtigen Bad im Dorf zu kommen wäre ebenso schwierig gewesen, wie einen
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    gezähmten Walfisch zu kaufen.
    Hopfenpflücker lassen sich anscheinend in drei Kategorien
    teilen: die Leute aus East End (hauptsächlich Hausierer), Zigeuner und umherziehende Landarbeiter, denen sich ein paar Landstreicher zugesellen. Daß Ginger und ich Landstreicher waren, verschaffte uns viel Sympathie, besonders bei den etwas Bessergestellten. Unter anderem war da ein Paar, ein
    Wanderhändler mit seiner Frau, die wie Vater und Mutter zu uns waren. Sie waren von der Sorte, die sich regelmäßig sonnabends betrinkt und kein Hauptwort benutzt, ohne es mit »fucking« zu untermalen, aber ich habe nie Menschen getroffen, die
    freundschaftlicher und feinfühliger waren. Immer und immer wieder gaben sie uns von ihrem Essen ab. So kam zum Beispiel eins ihrer Kinder mit einer halbgefüllten Bratpfanne zu uns und sagte: »Eric, Mutter wollte das gerade wegwerfen, aber dann sagte sie, es wäre doch schade drum, und ob ihr es nicht
    vielleicht haben wollt?« Natürlich hatten sie keinen Augenblick daran gedacht, die Reste wegzuwerfen, sie sagten es bloß, um jeden Anschein von Mildtätigkeit zu vermeiden. Einmal
    schenk ten sie uns einen ganzen, schon abgekochten
    Schweinskopf. Sie hatten selber mehrere Jahre auf der
    Landstraße gelebt, daher ihr Mitgefühl. »Ich weiß, was das heißt, nachts in dem scheißnassen Gras zu liegen und
    frühmorgens den Milchmann anzubetteln, damit man sich eine Tasse Tee machen kann. Zwei von meinen Jungs habe ich auf der Landstraße gekriegt« etc. etc. Ein anderer Arbeiter, der sich sehr anständig zu uns benahm, war in einer Papierfabrik
    angestellt. Vorher war er dort Kammerjäger gewesen, und er erzä hlte, daß Schmutz und Ungeziefer jede Vorstellung
    überstiegen hätten. Es hätte so viel Ratten gegeben, daß man sich zum Beispiel nicht unbewaffnet in die Küche getraut hätte und immer einen Revolver bei sich haben mußte.
    Nachdem ich ein paar Tage mit all diesen Leuten
    zusammengelebt hatte, wurde mir mein Cockney-Akzent lästig,
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    und sofort bemerkten sie, daß ich anders sprach als sie. Wie gewöhnlich wurden sie daraufhin noch freundlicher, denn in diesen Schichten gilt es als ein besonders trauriges Schicksal,
    »heruntergekommen zu sein«.
    Von zweihundert Pflückern in der Farm von Biest waren
    fünfzig oder sechzig Zigeuner. Sie wirkten seltsamerweise wie orientalische Bauern, dieselben schweren Gesichter, gleichzeitig stumpf und schlau, von blitzschneller Auffassung in allem, was sie selbst betrifft, sonst von erstaunlicher Unwissenheit. Die meisten können nicht ein Wort lesen, und kein Kind scheint je eine Schule besucht zu haben. Ein etwa vierzigjähriger Zigeuner stellte mir Fragen wie: »Wie weit liegt Paris von Frankreich?«
    oder »Wieviel Tage braucht ein Wohnwagen nach Paris?« etc.
    etc. Ein zwanzigjähriger Bursche gab mir etwa ein dutzendmal am Tag folgendes Rätsel auf: »Soll ich dir mal was sagen, was du nicht kannst?« - »Was denn?« - »Eine Mücke mit einem
    Telegraphenmast am Arsch kitzeln. « (Darauf folgte
    unweigerlich ein allgemeines brüllendes Gelächter.) Zigeuner sind offenbar ziemlich wohlhabend, sie besitzen Wagen, Pferde etc., sind das ganze Jahr unterwegs, verdingen sich als
    Landarbeiter und sparen ihr Geld. Sie sagten immer, daß unsere Art zu leben (in Häusern wohnen etc.) ihnen widerwärtig
    erschiene und wie schlau sie es angestellt hätten, sich im Krieg um den Militärdienst zu drücken. Wenn man mit ihnen sprach, hatte man das Gefühl, mit Menschen aus einem andern
    Jahrhundert zu reden. Einen Zigeuner hörte ich sagen, »wenn ich wüßte, wo der und der steckt, würde ich hinreiten, bis mein Pferd keine Hufe mehr hätte, um ihn zu

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