Im Innern des Wals
wenn es den Elefanten witterte, und mich abwerfen.
Kurze Zeit später erschien der Polizist mit der Büchse und fünf Patronen. Von einigen Burmesen hatte ich inzwischen erfahren, daß der Elefant am Fuße des Abhangs in einem Reisfeld war, nur ein paar hundert Yards entfernt. Als ich mich auf den Weg machte, hatten fast die gesamten Bewohner des Viertels ihre Hütten verlassen und folgten mir. Sie hatten die Elefantenbüchse bemerkt und schrien aufgeregt durcheinander, daß ich den Elefanten erschießen wollte. Solange er nur ihre Hütten verwüstet hatte, hatten sie sich nicht weiter um ihn gekümmert. Jetzt, wo er erschossen werden sollte, sah es anders aus. Jetzt war es für sie eine Belustigung, wie es das auch für eine Volksmenge in England gewesen wäre. Außerdem wollten sie das Fleisch haben. Mir war äußerst unbehaglich zumute. Ich hatte gar nicht die Absicht, den Elefanten zu töten – nach dem Gewehr hatte ich nur geschickt, um mich notfalls verteidigen zu können – und es machte mich nervös, daß die Menschenmenge mir folgte. Ich ging den Hügel hinunter, sah wie ein Narr aus und fühlte mich auch so, mit meinem Gewehr über der Schulter und einer ständig wachsenden Armee von Leuten an meinen Fersen. Hinter den letzten Hütten führte eine geschotterte Straße am Fuß des Abhangs entlang. Jenseits der Straße dehnte sich verschlammtes Ackerland, ein noch unbebautes Reisfeld voller Unkraut, etwa tausend Yards im Quadrat, dessen Boden durch die ersten Regenfälle völlig aufgeweicht war. Der Elefant stand achtzig Yards unterhalb der Straße und kehrte uns seine linke Flanke zu. Von der herannahenden Menschenmenge nahm er auch nicht die geringste Notiz. Mit dem Rüssel riß er Grasbüschel aus, schlug sie gegen seine Knie, um sie von Erde zu säubern, und stopfte sie sich ins Maul.
Auf der Straße machte ich halt. Sobald ich den Elefanten erblickt hatte, wußte ich mit absoluter Gewißheit, daß ich ihn nicht zu töten brauchte. Es ist eine ernste Sache, einen Arbeitselefanten zu töten – vergleichbar etwa mit der Zerstörung einer großen, wertvollen Maschine. Wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, verzichtete man besser darauf. Aus der Nähe sah der friedlich grasende Elefant nicht gefährlicher aus als eine Kuh. Ich war überzeugt – und glaube es auch heute noch –, daß sich seine Brunst gelegt hatte. Dann würde er höchstens noch eine Weile umherwandern, ohne Schaden anzurichten, bis sein Mahoud zurückkam und ihn wieder einfing. Ich hatte nicht die geringste Lust, ihn zu erschießen. Ich beschloß, ihn noch eine Weile zu beobachten, um sicher zu sein, daß er kein weiteres Unheil anrichtete, und dann nach Hause zurückzukehren.
Aber in diesem Augenblick fiel mein Blick auf die Menge, die mir gefolgt war. Sie war unheimlich angewachsen, bis auf ungefähr zweitausend Menschen, und nahm noch immer mit jeder Minute zu. So weit man sehen konnte, war die Straße nach beiden Seiten versperrt. Ich blickte auf dieses Meer von gelben Gesichtern über grellbunten Kleidern, alle freudig erregt, glücklich über die willkommene kleine Belustigung. Keiner zweifelte daran, daß ich den Elefanten erschießen würde. Sie sahen mir zu wie einem Zauberkünstler, der im Begriffe ist, einen schwierigen Trick vorzuführen. Sie mochten mich nicht, aber in diesem Augenblick, mit dem magischen Gewehr in der Hand, lohnte es sich, mir zuzusehen. Mit einem Schlage wurde mir klar, daß ich trotz aller Bedenken den Elefanten würde erschießen müssen. Die Menge erwartete es von mir, mir blieb gar keine andere Wahl. Ich fühlte den Willen der Zweitausend, der mich dazu antrieb, förmlich unwiderstehlich. Genau in dieser Minute, als ich mit der Büchse in der Hand dastand, wurde mir zum erstenmal die ganze Brüchigkeit und Hohlheit der Herrschaft des weißen Mannes im Osten bewußt. Hier stand ich, der weiße Mann mit seinem Gewehr, einer Masse unbewaffneter Eingeborener gegenüber, scheinbar der Held des Stückes, in Wirklichkeit eine Marionette, deren Bewegungen vom Willen der Gelbgesichter hinter mir bestimmt wurden. In dieser Minute wurde mir klar, daß der weiße Mann, wenn er zum Tyrannen wird, seine eigene Freiheit zerstört. Er wird zu einer hohlen, posierenden Puppe, zur konventionellen Figur des »Sahib«. Das Gesetz, nach dem er angetreten ist, zwingt ihn, sein Leben lang Eindruck auf die Eingeborenen zu machen, und in jeder kritischen Lage muß er das tun, was die Eingeborenen von ihm erwarten. Er
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