Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orwell George
Vom Netzwerk:
trägt eine Maske, und sein Gesicht paßt sich ihr an. Ich mußte den Elefanten erschießen, ich hatte mich dazu verpflichtet, als ich nach dem Gewehr schickte. Ein Sahib hat die Pflicht, wie ein Sahib zu handeln. Er muß entschlossen erscheinen, er muß wissen, was er will, und dementsprechend vorgehen. Den ganzen langen Weg machen, ein Gewehr in der Hand und zweitausend Leute an den Fersen, und sich dann drücken, ohne etwas unternommen zu haben – nein, das war unmöglich. Die Menge hätte mich einfach ausgelacht – wo mein Leben und das jedes Weißen im Osten nichts anderes war als ein dauernder Kampf, nicht ausgelacht zu werden.
    Aber ich wollte den Elefanten nicht erschießen. Ich sah ihm zu, wie er die Grasbüschel an seinem Knie ausklopfte, auf die bedächtige, großmütterliche Art, die Elefanten eigen ist. Ich wußte, daß es reiner Mord war, ihn abzuschießen. In meinem damaligen Alter machte ich mir kein Gewissen daraus, ein Tier zu töten, aber ich hatte noch nie einen Elefanten erlegt und auch nie den Wunsch gehabt. (Irgendwie kommt es einem ja immer verwerflicher vor, ein großes Tier zu töten.) Nebenbei mußte man auch den Eigentümer des Tieres in Betracht ziehen. Lebend war der Elefant wenigstens hundert Pfund wert, tot höchstens so viel wie die Stoßzähne, das heißt, vielleicht fünf Pfund. Aber ich mußte schnell handeln. Ich wandte mich an ein paar Burmesen, die einen erfahrenen Eindruck machten. Sie waren schon am Platz gewesen, als wir ankamen. Ich fragte sie, wie sich der Elefant die ganze Zeit über verhalten habe. Sie meinten übereinstimmend, daß er sich um niemanden kümmern würde, solange man ihn in Ruhe ließe, aber zum Angriff übergehen könne, wenn man ihm zu nahe käme.
    Mir war völlig klar, was ich hätte tun müssen – auf ihn zugehen bis auf, sagen wir, fünfundzwanzig Yards, um zu sehen, was er machen würde. Griff er mich an, mußte ich schießen, nahm er keine Notiz von mir, war es das Beste, ihn sich selbst zu überlassen, bis der Mahoud zurückkommen würde. Gleichzeitig wußte ich, daß ich das nicht tun würde. Ich war ein schlechter Gewehrschütze, und der Boden so schlammig, daß ich bei jedem Schritt einsinken würde. Falls er mich angriff und ich ihn verfehlte, hatte ich soviel Aussicht, lebend davonzukommen, wie eine Kröte unter einer Dampfwalze. Dabei war es nicht einmal so sehr die Sorge um meine eigene Haut, die mich beunruhigte, als die erwartungsvollen gelben Gesichter hinter mir. Sonderbarerweise hatte ich mit der Menge in meinem Rücken weniger Angst, als wenn ich allein gewesen wäre. Ein Weißer darf »Eingeborenen« gegenüber keine Angst haben, und infolgedessen hat er im allgemeinen auch keine. Mein einziger Gedanke war, wenn etwas schiefging, würde ich vor den Augen dieser zweitausend Burmesen von dem Elefanten angegriffen, gepackt, zertreten und in einen grinsenden Leichnam verwandelt, wie jener Inder oben am Hügel. Einige würden, falls es dazu kommen sollte, wahrscheinlich in Lachen ausbrechen. Das durfte nie und nimmer geschehen. Also blieb nur der andere Weg. Ich schob die Patronen in das Magazin und legte mich der Länge nach auf die Straße, um zielsicher schießen zu können.
    Mit einem Schlag wurde die Menge totenstill, nur ein tiefes, erleichtertes, befriedigtes Aufseufzen kam aus unzähligen Kehlen, wie im Theater, wenn endlich der Vorhang aufgeht. Sie würden also zum Schluß ihren Spaß bekommen. Die Büchse war eine wundervolle deutsche Waffe mit einem Fadenkreuz im Zielfernrohr. Ich wußte damals noch nicht, daß man sich eine Linie von einem Ohrloch zum andern denken und darauf halten muß, um einen Elefanten tödlich zu treffen. Da das Tier mir die Flanke zuwandte, hätte ich also genau auf das Ohrloch zielen müssen. Statt dessen zielte ich auf eine Stelle mehrere Inches weiter vorn, weil ich annahm, daß sich ungefähr dort das Gehirn befinden müsse.
    Als ich abzog, hörte ich, wie immer, wenn ein Schuß sitzt, weder den Knall, noch spürte ich den Rückschlag. Dagegen hörte ich den diabolischen Jubelschrei der Menge. Fast in der gleichen Sekunde oder doch so kurz danach, daß man sich kaum vorstellen konnte, daß die Kugel bereits ihr Ziel erreicht hatte, ging eine schreckliche, geradezu unheimliche Veränderung mit dem Elefanten vor. Er fiel nicht, er schwankte nicht einmal, aber die ganzen Konturen seines Leibes hatten sich verändert. Er sah plötzlich verfallen aus, in sich zusammengesunken, uralt, als habe der

Weitere Kostenlose Bücher