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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orwell George
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Betten in Nachtquartieren in größerem Abstand voneinander stehen müssen. Es gibt einen ganzen Haufen von Gesetzen dieser Art, die sich auf diese billigen Unterkünfte beziehen (z. B. Dick’s Café in Billingsgate. Dick’s war einer der wenigen Plätze, wo man eine Tasse Tee für 1p. bekam. Außerdem gab es da einen Kamin, so daß jeder, der einen Penny hatte, sich frühmorgens stundenlang aufwärmen konnte. Erst in der letzten Woche hat der L.C.C. das Lokal schließen lassen, weil es nicht den hygienischen Anforderungen entsprach. etc.), aber es gibt kein Gesetz, und wird niemals eins geben, das bestimmt, daß die Betten einigermaßen bequem sein müßten. Das einzige Ergebnis des erwähnten Gesetzes besteht darin, daß jedes Bett vom nächsten drei Fuß statt zwei Fuß entfernt steht und 3p. teurer ist.
    26. August
    Am nächsten Tag ging ich zum Trafalgar Square und schlug mein Lager an der Nordseite des Denkmals auf, einem der bekanntesten Treffpunkte der Obdachlosen in London. Um diese Jahreszeit bevölkern etwa hundert bis zweihundert von ihnen (etwa 10% davon Frauen) den Platz, den sie als ihren festen Wohnsitz betrachten. Ihr Essen verschaffen sie sich durch Betteltouren (in Covent Garden um vier Uhr früh, da suchen sie nach angestoßenem Obst, morgens in verschiedenen Ordensstiften und spät in der Nacht in Restaurants und Abfallkästen etc.
    Außerdem gelingt es ihnen immer wieder, von besseren Passanten genug zusammenzubetteln, um sich ihren täglichen Tee zu sichern. Tee gibt es auf dem Square zu jeder Tageszeit. Einer besorgt eine Blechdose, ›drum‹ (Trommel) genannt, ein anderer Zucker und so weiter. Dazu Kondensmilch zu 2p. die Büchse. Man bohrt zwei Löcher mit dem Messer in den Deckel, bläst in eins hinein, worauf aus dem andern eine graue klebrige Flüssigkeit quillt. Die Löcher werden mit zerkautem Papier verschlossen, so daß sich die Dose ein paar Tage hält, natürlich staubig und schmutzig. Heißes Wasser besorgt man sich aus Kaffeestuben, oder man macht sich nachts das Wasser an den Feuerstellen der Leute vorn Wachdienst heiß, aber das geht nur heimlich, weil es polizeilich verboten ist. Manche, die ich auf dem Square traf, hatten ohne Unterbrechung sechs Wochen dort gehaust, und es schien ihnen nicht viel ausgemacht zu haben, außer daß sie alle phantastisch dreckig waren. Wie immer bei diesen Ärmsten besteht ein großer Prozentsatz aus Iren. Von Zeit zu Zeit fahren sie nach Hause, ohne im geringsten daran zu denken, ihre Fahrt zu bezahlen, fast immer als blinde Passagiere auf kleinen Frachtern, mit stillschweigendem Einverständnis der Besatzung.
    Ich hatte die Absicht gehabt, in der St. Martin’s Church zu schlafen, aber wie ich von andern erfuhr, wurde man am Eingang von einer Frau, ›die Madonna‹ genannt, in lästiger Weise ausgefragt. So beschloß ich, die Nacht auf dem Square zu verbringen. Es war nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte, aber so kalt und derart polizeilich überwacht, daß es unmöglich war, ein Auge zu schließen, und außer ein paar ausgekochten alten Landstreichern versuchte es auch keiner. Es stehen genug Stühle für etwa fünfzig Menschen da, die übrigen müssen sich auf den Boden setzen, was natürlich gesetzlich verboten ist. Alle paar Minuten ertönt der Ruf »Achtung Jungs, Polente«, und ein Polizist macht dann die Runde und rüttelt die Schlafenden wach und zwingt die am Boden Liegenden zum Aufstehen. Sobald er verschwunden ist, legt man sich sofort wieder hin. Das wiederholte sich auch diese Nacht wie eine Art Spiel, von acht Uhr abends bis drei Uhr morgens.
    Nach Mitternacht wurde es so kalt, daß ich aufstehen und lange hin und her gehen mußte, um mich warm zu halten. Die Straßen sehen zu der Zeit ziemlich gespenstisch aus. Alles ist still und verlassen und dabei fast taghell infolge der blendenden Straßenbeleuchtung, die allem ein totenähnliches Aussehen gibt, als ob London der Leichnam einer Stadt sei. Etwa um drei Uhr früh gingen wir, ich und ein anderer, zu der kleinen Grünanlage hinter dem Paradeplatz der ›Guard’s‹ hinüber und sahen Prostituierte und Männer in dem bitterkalten Frühnebel auf dem feuchten Rasen paarweise liegen. Auf dem Square treiben sich immer ein paar Dirnen herum, nämlich die, die kein Glück gehabt und nicht einmal genug für ein Nachtquartier verdient haben. Eine von ihnen wälzte sich nachts am Boden und weinte bitterlich, weil der Mann weggegangen war, ohne ihr den vereinbarten Preis von

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