Im Innern des Wals
so fällt bei ihnen, wenigstens bei den englischsprachigen, auf, wie entsetzlich langweilig und schlecht sie sind. Noch bezeichnender ist, daß sie fast alle, ob von rechts oder von links, von einem politischen Standpunkt aus geschrieben sind, von selbstsicheren Parteigängern, die einem erklären, was man zu denken hat, während die Bücher über den Ersten Weltkrieg von gemeinen Soldaten oder jüngeren Offizieren stammen, die nicht einmal vorgaben zu verstehen, was das Ganze zu bedeuten hatte. Bücher wie Im Westen nichts Neues , A Farewell to Arms , Death of a Hero , Good-Eye to All That , Memoirs of an Infantry Officer und A Subaltern on the Somme (von Erich Maria Remarque, ersch. 1929; In einem anderen Land von Hemingway, ersch. 1929; Heldentot von Richard Aldington, ersch. 1929; Strich drunter von Roben Graves, ersch. 1929; Vom Krieg zum Frieden. Erinnerungen von Siegfried Sassoon, ersch. 1928), sind nicht von Propagandisten geschrieben worden, sondern von den Opfern. Sie alle besagen im Grunde: »Was, zum Teufel, soll das alles heißen? Gott allein weiß es. Alles, was wir tun können, ist durchzuhalten.«
Und obwohl er nicht über den Krieg schreibt und überhaupt nicht über Unglück, kommt Millers Haltung dem näher als die Allwissenheit, die heute modern ist. Der Booster , eine kurzlebige Zeitschrift, der er eine Zeitlang als Redakteur angehörte, stellte sich in ihren Anzeigen als »nichtpolitisch, nichterzieherisch, nichtfortschrittlich, nichtcooperativ, nichtethisch, nichtliterarisch, nichtkonsequent, nichtzeitgenössisch« vor, und Millers eigenes Werk könnte man ungefähr in derselben Weise beschreiben. Es ist eine Stimme aus der Menge, die Stimme des Untergebenen, des Passagiers dritter Klasse, des einfachen, nichtpolitischen, nicht moralischen, passiven Menschen.
Ich habe den Ausdruck »einfacher Mensch« ziemlich vage gebraucht und dabei vorausgesetzt, daß es diesen »einfachen Menschen« wirklich gibt, was heute von einigen Leuten bestritten wird. Ich meine nicht, daß die Menschen, die Miller beschreibt, eine Mehrheit bilden, und noch weniger, daß er über Proletarier schreibt. Kein englischer oder amerikanischer Schriftsteller hat das bisher ernstlich versucht. Und nochmals, die Menschen im Wendekreis des Krebses können kaum als gewöhnlich bezeichnet werden, insofern sie faul, unbürgerlich und mehr oder weniger »Künstler« sind. Wie ich bereits sagte, ist das schade, aber das zwangsläufige Resultat des Exils. Millers »einfacher Mensch« ist weder ein Handwerker noch der Spießbürger aus dem Vorort, sondern ein Heruntergekommener, ein »Déclassé«, ein Abenteurer, ein amerikanischer Intellektueller, der entwurzelt ist und kein Geld hat. Dennoch decken sich sogar die Erfahrungen dieser Typen noch weitgehend mit der von normalen Menschen. Miller hat es verstanden, aus einem eher begrenzten Material das meiste herauszuholen, weil er den Mut hatte, sich damit zu identifizieren. Der einfache Mensch, der »durchschnittliche, sinnliche Mensch«, hat durch Miller eine Stimme bekommen, wie Bileams Esel.
Das ist, wie man sehen wird, veraltet oder jedenfalls unmodern. Der durchschnittliche, sinnliche Mensch ist aus der Mode. Die passive, unpolitische Haltung ist aus der Mode. Die übermäßige Beschäftigung mit Sex und die Wahrhaftigkeit in bezug auf das Innenleben sind aus der Mode. Das amerikanische Paris ist aus der Mode. Wenn heute ein Buch wie Wendekreis des Krebses erschiene, müßte es entweder eine langweilige Rarität oder etwas völlig Ungewöhnliches sein. Ich glaube, die Mehrzahl derer, die das Buch gelesen haben, werden mit mir darin übereinstimmen, daß ersteres nicht der Fall ist. Es lohnt sich herauszufinden, was dieser augenfällige Gegensatz zur herrschenden literarischen Strömung bedeutet. Zu diesem Zweck muß man es gegen seinen Hintergrund sehen, das heißt gegen die allgemeine Entwicklung der englischen Literatur der letzten zwanzig Jahre seit dem Ersten Weltkrieg.
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Wenn man sagt, ein Schriftsteller sei modisch, so heißt das praktisch, daß ihn die jüngere Generation unter dreißig anerkennt. Zu Beginn der Epoche, von der ich spreche, also den Kriegsjahren oder unmittelbar danach, war A. Housman der Schriftsteller, der zweifellos den stärksten Eindruck auf die intelligente junge Generation machte. Auf diejenigen, die in den Jahren 1910–25 heranwuchsen, übte Housman einen enormen Einfluß aus, den man heute kaum noch begreift. 1920, als ich etwa siebzehn
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