Im Interesse der Nation
aber wie zum Teufel hatte er voraussehen können, was passieren würde? An einen Zufall würde kein Sicherheitsdienst der Welt glauben, mochte der Gedanke, ein paar arabische Flugzeugentführer kaperten zufällig eine Maschine mit unerwartet kämpferischen Passagieren, auch noch so belustigend sein.
Die Informationen des DST wurden an den Nachrichtendienst DGSE weitergereicht, und dort entstanden noch kompliziertere Probleme.
Erstens konnte das Archiv blitzschnell Angaben über einen gewissen Carl Gustav Gilbert Hamilton machen, einen schwedischen Offizier in taktisch-operativer Funktion, wie die schönfärberische Umschreibung lautete, einen Mann des Nachrichtendienstes, der seit mehreren Jahren unter dem Codenamen Coq Rouge geführt wurde.
Es war also nicht irgendein x-beliebiger Nachrichtenmann, der auf Platz 23C in dem Airbus gesessen hatte, sondern ein höchst qualifizierter Spezialist. Das Archivmaterial sprach eine knappe, jedoch klare Sprache. Coq Rouge war der Verantwortliche für das israelische Fiasko in Stockholm vor einigen Jahren. Er hatte eigenhändig vier israelischen Spezialisten des Sayeret Matkal getötet.
Doch aus französischem Blickwinkel besonders interessant war die Tatsache, daß derselbe Coq Rouge sich vor etwa einem Jahr in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten und gleichzeitig mit einem Major Alain Detoureille die westdeutsche Terroristenorganisation RAF unterwandert hatte. Bei der abschließenden Operation mit dem Massaker in Hamburg, bei dem die GSG 9 zwölf westdeutsche, belgische und französische Terroristen erschoß - nach Aktenlage auch den französischen Major -, war Coq Rouge ebenfalls beteiligt gewesen. Dieses Ereignis hatte zu Spannungen zwischen den Nachrichtendiensten Frankreichs und der Bundesrepublik geführt. Die Franzosen hatten die westdeutschen Beteuerungen, der Tod Detoureilles sei auf bedauerliche Irrtümer zurückzuführen, nicht eine Sekunde geglaubt.
Es gab also eine ganze Reihe von Fragen, die Coq Rouge würde beantworten können. Wie war es beispielsweise möglich, daß der schwedische Nachrichtendienst einen Terroristenanschlag verhinderte, der sich gegen französische Interessen richtete, ohne daß man zuvor mit den französischen Kollegen Verbindung aufgenommen hatte? Warum hatte Coq Rouge die Maschine erneut gekapert und die Piloten mit dem Bluff bedroht, ein halber Weltkrieg sei besser als eine Landung in Damaskus? Es konnte unmöglich ein Zufall gewesen sein, daß gerade Coq Rouge sich in der Maschine befunden hatte. Bei einem anderen Mann des schwedischen Nachrichtendienstes wäre es möglich gewesen, doch nicht bei ihm.
Überdies kannte er natürlich die Antworten auf alle Fragen, die den Tod Major Detoureilles betrafen.
Es wurde beschlossen, auf geeignete Weise dafür zu sorgen, daß man Coq Rouge verhören, nun ja, zumindest befragen konnte. Wie das zu ermöglichen sei, wollten die französischen Dienststellen nicht gleich festlegen, doch war für Frankreich von vitalem Interesse, daß es geschah.
Was den sowjetischen Nachrichtendienst betraf, ließen die Ereignisse für Unklarheiten keinen Raum. Folglich erhielten zwei Militärattachés in Stockholm in kurzer Zeit Aufträge auf den Tisch, bei denen es um Coq Rouge ging.
Für Jurij Tschiwartschew, der den Auftrag nicht in seiner Eigenschaft als Militärattaché erhielt, sondern als Resident des GRU, war die Angelegenheit äußerst unangenehm. Der Auftrag, das Todesurteil gegen Gennadij Alexandrowitsch zu vollstrecken, war aufgrund der Ereignisse jetzt an die Stockholmer Station ergangen.
Als Jurij Tschiwartschew die Frage mit seinen zwei Stellvertretern besprach, hatte er schon beschlossen, bis auf weiteres auf alle Disziplinarmaßnahmen gegen einen von ihnen zu verzichten, der durch seine Schlamperei versäumt hatte, ein Porträt dieses Hamilton zu schaffen. Möglicherweise war das der Grund dafür, daß die Operation in der französischen Maschine zu einem Fehlschlag geworden war. Jetzt befanden sie sich in einer Krisenlage, um nicht zu sagen Kriegslage, und da war es nicht die richtige Zeit, in disziplinarischen Petitessen herumzustochern.
Da Gennadij Alexandrowitsch sich jetzt in Schweden befand, in den Klauen des schwedischen Nachrichtendienstes, würde er schnell aufgespürt und liquidiert werden. Die erste, wichtigste Aufgabe bestand nun darin, das Ziel zu orten. Jurij Tschiwartschew erklärte, man müsse die Gruppe Niškov aktivieren, um den zweiten Teil der Operation später
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