Im Interesse der Nation
am Ende resigniert hatte. Allzuoft waren die von der Polizei aufgegriffenen Huren von irgendeinem arroganten Typ abgeholt worden, der mit dem gefürchteten roten KGB-Ausweis herumwedelte.
Jurij Tschiwartschew unterschätzte das KGB durchaus nicht. Zweimal in der jüngeren Geschichte war diese Organisation dazu eingesetzt worden, das GRU zu liquidieren - was fast gelungen wäre -, als die Mitglieder des Politbüros den Verdacht gehabt hatten, die sowjetische Armee werde zu stark und mächtig. Jurij Tschiwartschew war schon lange genug im Dienst, um am Rande der Organisation die Folgen der letzten Säuberungswelle miterlebt zu haben. Doch das KGB betrachtete er eben als einen Sicherheitsdienst - eher als eine Art Geheimpolizei denn als Nachrichtendienst. Die jetzt laufende Operation jedoch war ein Job, der seiner Meinung nach vom GRU erledigt werden mußte und nicht von den Tschekisten.
Ihm stand ein erstes Sondierungsgespräch mit dem KGB-Chef im anderen Flügel der Botschaft bevor, wo die Tschekisten ihre Amtsräume hatten, sogar mit Seeblick.
Doch noch hielt ihn ein kleines Detail fest, das ihn fasziniert hatte. Für die jetzige Operation schien dieses Detail völlig bedeutungslos zu sein.
Doch einmal war es ein schönes Beispiel dafür, was die Informationszentrale leisten konnte, zum anderen sagte ihm seine Intuition, daß dieses Detail sich dennoch als wichtig erweisen konnte. Wie so viele andere erfahrene Nachrichtenmänner verließ sich Jurij Tschiwartschew zunehmend auf seine Intuition. Und dieser Hamilton war ein faszinierender Mann.
Die Bilder, die man vor seinem Wohnhaus aufgenommen hatte, hatte man zunächst dazu benutzt, die anderen Personen zu identifizieren. Zwei waren tatsächlich vom Büro A des schwedischen Sicherheitsdienstes, das eher eine Sachbearbeiter-Dienststelle als eine operative Einheit war. Es war nicht leicht zu durchschauen, was Hamilton mit denen zu schaffen hatte, während er gleichzeitig mit Gennadij Alexandrowitsch befaßt war. Doch ließ sich in dieser Lage kaum ein anderer Grund für diesen eiligen Besuch bei einem Nachrichtenoffizier denken. Der dritte Mann auf den Fotos war ebenfalls identifiziert. Es handelte sich um einen der stellvertretenden Chefs der Sicherheitsabteilung des schwedischen Generalstabs, und das lenkte die Gedanken schon eher in Richtung Gennadij Alexandrowitsch sowie zu den Sicherheitsarrangements, die mit dessen Vernehmung und der Geheimhaltung seines Aufenthaltorts zu tun hatten.
Irgendein operativer Einsatz, entweder Beobachtung oder etwas anderes, war für Hamilton wohl nicht aktuell. Offenbar war er nach New York geflogen, wie der GRU-Offizier bei Aeroflot herausgefunden hatte.
Aber das Foto von Hamilton, das große Bild, auf dem sein Umhang vom Wind geöffnet wurde und er vom Taxi zu seiner Haustür eilte, war schon als Foto eine gute Arbeit. Wie Tschiwartschew erfahren hatte, war es schwierig, bei Farbaufnahmen mit einem Teleobjektiv zu arbeiten. Als Porträt war es ein recht lebendiges Bild, das trotz Hamiltons Bewegung scharf war. Hamilton wirkte keineswegs ruhig und entspannt. Seine aufgerissenen hellblauen Augen vermittelten fast den Eindruck einer Art Furcht, die man ihm angesichts seines modus operandi nicht ohne weiteres zutrauen würde. Auf der rechten Wange hatte er eine klar erkennbare Narbe, die auf den älteren Fotos nicht zu finden war.
Schon in der Botschaft hatte man Detailvergrößerungen machen lassen und so mühelos sämtliche Auszeichnungen Hamiltons identifizieren können. Diese waren vermutlich höchst verdient, auch wenn irgendein Major in der Analyseabteilung einen neidischen Kommentar dazu abgegeben hatte: Die Franzosen hätten wohl etwas zu hoch gegriffen; sie hätten sich lieber mit der normalen Ritter-Klasse begnügen sollen. Doch an einem kleinen Abzeichen auf der rechten Brustseite hatte man sich die Zähne ausgebissen. Man hatte sich darauf geeinigt, daß es jedenfalls keine in Schweden übliche Auszeichnung sei, und war der Frage dann nicht weiter nachgegangen.
Jurij Tschiwartschew hatte sich mit diesem Bescheid nicht begnügt. Vielleicht, weil seine Intuition ihm sagte, es könnte etwas Wichtiges sein, vielleicht empfand er auch so etwas wie kollegiale Sympathie für den umtriebigen jungen Nachrichtenoffizier. Jedenfalls hatte er das Bild an die GRU-Zentrale in Moskau geschickt. Im Siebten und Achten Informationsdirektorat hatte man offenbar keinen Erfolg gehabt. Das unabhängige Informationsinstitut jedoch, oft
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