Im Interesse der Nation
Wahl: Sie mußten weitermachen, als wäre nichts geschehen, und sich bemühen, ihre wachsende Nervosität zurückzudrängen.
Als sie mit der vorletzten Sprengladung beschäftigt waren, hörten sie ein plötzliches Knacken, ein Quietschen und sehr laute Geräusche. Carl signalisierte, sie könnten mit den Sprengladungen weitermachen. Im Schutz des Lärms konnten sie schnell und ohne Rücksicht auf Geräusche arbeiten.
Auf dem Schlitten lagen jetzt noch zwei Reserve-Sprengladungen und ein damit verbundener Reserve-Timer. Die Geräusche unter ihnen waren immer lauter geworden, aber sie konnten immer noch nicht ausmachen, was sie verursachte.
Während Carl den Timer befestigte und die Detonationszeit auf zwei Minuten programmierte, ging ihm plötzlich auf, wie das Geräusch zu deuten war. Es war irgendeine Hydraulik. Die Russen waren dabei, das Einfahrtstor an einem Ende zu öffnen, weniger als zwei Meter von ihrer Position entfernt.
Plötzlich tauchte ein kräftiger weißer Lichtschein auf, und sie hörten ein deutliches Motorengeräusch. Carl hatte den Eindruck, als sei etwas dabei, sich durch das Tor hinauszubewegen, irgendein bulliges Fahrzeug. Das Licht stammte entweder von dem Fahrzeug oder es stellte eine Art Lande oder Startbeleuchtung der Station dar.
Carl zog die beiden anderen zu sich, zeigte auf den Timer und wartete, bis sie die Zeitangabe erkannt und bestätigt hatten: Anderthalb Minuten, neunzig Sekunden. Dann zog er sein Messer und schnitt die Handleine zu Åke Stålhandske durch und leinte sich selbst bei Lundwall an. Er koppelte eine normale Sprengladung ab und überreichte Stålhandske die Reserveladung zusammen mit dem Timer. Er ließ Joar Lundwall mit den Händen spüren, was geschah.
Das Licht unter ihnen wurde immer stärker, ebenso der Lärm, so daß sie einander vor dem blenden, flirrenden Hintergrund als Silhouetten zu erkennen begannen.
Carl zeigte auf das Licht und das Fahrzeug und schob Åke Stålhandske von sich weg. Dann betätigte er den Schalter der zusammengekoppelten Sprengladungen und zog Joar Lundwall in die festgelegte Kompaßrichtung mit sich, so daß sie sich schnell von Stålhandske entfernten. Carl schwamm schräg nach oben und versuchte, an nichts zu denken, während er die Augen schloß und unbewußt auch versuchte, die Ohren zu schließen.
Neunzig Sekunden sind anderthalb Minuten und ein sehr kurzer Zeitraum. Es wurde die längste Zeit, die Carl je gewartet hatte.
Als die Detonation endlich erfolgte, hatte er das Gefühl, von einem Panzer überfahren zu werden. Er erkannte, daß er sich an der Grenze zur Bewußtlosigkeit befand. Dann spürte er einen plötzlich aufquellenden pochenden Schmerz in den Ohren, vor allem in einem Ohr. Mindestens ein Trommelfell war zum Teufel. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß er noch immer so schnell schwamm, wie er vermochte, und daß es ihm verdächtig schwer fiel. Er hielt inne und zog Joar Lundwall zu sich her, während er gleichzeitig auf den Tiefenmesser sah. Sie waren in fünf Meter Tiefe angelangt, und der Druck um die Hoden hatte nachgelassen. Was eine ziemlich dürftige Kompensation für die Schmerzen in den Ohren war. Als er Lundwall ganz in seiner Nähe hatte, beugte er sich vor und zog seinen Kollegen eng an sich, als wollte er ihn küssen. Lundwall wehrte sich zunächst, bis er begriff.
Carl drückte seine Maske dicht an die von Lundwall und schrie so laut er konnte.
»WIE GEHT’S DIR, KANNST DU NOCH HÖREN?«
»FLUCTUAT NEC MERGITUR. HABE SCHMERZEN, KANN ABER HÖ-REN«, brüllte Lundwall zurück.
»WAS?« schrie Carl.
»ZIEMLICH BENOMMEN, SINKE ABER NICHT UND KANN NOCH HÖ-REN!« wiederholte Lundwall.
»HAST DU DIE ORIENTIERUNG VERLOREN?« brüllte Carl.
»NEIN!«
»DU SCHWIMMST VORNEWEG!«
»VERSTANDEN«, beendete Lundwall ihre gebrüllte Konversation in intimer Umarmung. Dann schwamm er los, Carl mehr oder weniger im Schlepptau.
Als sie die Wasseroberfläche erreichten, wurde es schon dunkel. Sie waren noch mehr als fünfzig Meter vom Schlauchboot entfernt.
Sie sprachen nicht miteinander, als sie in das Schlauchboot kletterten und ihre Aggregate abschnallten. Sie spähten eine Weile über die Wasseroberfläche, sahen aber nichts, was vielleicht auch daran lag, daß ihnen die letzten Strahlen der untergegangenen Sonne direkt in die Augen schienen.
Carl aktivierte seinen Notsender, sobald sie in der Ferne den Hubschrauber hörten.
»Wie zum Teufel erklären wir, daß einer von uns fehlt?« fragte Lundwall
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