Im Interesse der Nation
suspendieren. In Schweden gilt man als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Das gilt sogar für Polizisten, sollte es jedenfalls.
Im Lauf des morgigen Tages würde man wahrscheinlich das Alibi mit der Kneipe beurteilen können. Es gab drei namentlich benannte Zeugen, die zu diesem Punkt zu befragen waren. Sollten sie sich, was die Zeitangaben betraf, zögernd stellen oder sie gar bestreiten - einer der drei war überdies Polizeibeamter -, würde man sich fragen müssen, ob ein Haftbefehl zu beantragen sei. Die Entscheidung lag jedoch glücklicherweise beim Staatsanwalt. Obwohl die Stockholmer Kollegen natürlich eine eigene Meinung dazu hatten. Eine Verhaftung würde die Vernehmung des Verdächtigen effektiver machen, meinten sie.
Aber das Gegenteil war genauso denkbar. Verhaftete Polizeibeamte wissen über die Polizeiarbeit genauso gut Bescheid wie verhaftete Berufsverbrecher. Dieser Weg würde vielleicht nur dazu führen, daß der Verdächtige einen Staranwalt verlangte und sich im übrigen weigerte, weitere Aussagen zu machen.
Rune Jansson legte die Anzeigen und Ermittlungsakten, welche die gewalttätige Spur des Kollegen Hammar draußen in der Stadt betrafen, behutsam übereinander. Die Übelkeit war jetzt noch schlimmer als vorhin, und der Schmerz in der Wade machte sich wieder bemerkbar.
Er machte einen Satz, als plötzlich das Telefon läutete. Er ließ es dreimal klingeln, während er den grauen Apparat anstarrte. Es war entweder seine Frau oder der Polizeidirektor, der noch einmal über die Suspension Hammars sprechen wollte. Rune Jansson schlug sich den Gedanken aus dem Kopf, lieber nach Hause zu gehen, statt den Hörer abzunehmen. Er nahm ab und meldete sich neutral mit seinem Nachnamen, um für beide denkbaren Gesprächspartner gerüstet zu sein. Am anderen Ende meldete sich jedoch eine ganz andere Person.
»Spreche ich mit dem Fahndungsleiter, Kommissar Jansson?« wollte der Unbekannte wissen.
»Kriminalinspektor Jansson. Ja?«
»Ja, hallo, hier ist der Östgöta-Correspondenten. Entschuldigem Sie, daß wir so spät anrufen.«
»Ist schon in Ordnung. Ja?«
»Wir würden gern wissen, ob Sie bestätigen können, daß ein Polizist aus Norrköping wegen des Werwolf-Mordes an dieser polnischen Prostituierten verhaftet worden ist?«
Rune Jansson holte tief Luft, bevor er antwortete.
»Das ist völlig falsch. Die Ermordete war keine Prostituierte. Ich begreife nicht, woher Sie das haben. Ihre Angehörigen sind übrigens ziemlich wütend über dieses Geschreibsel, was ich gut verstehen kann.«
»Jaja. Aber Sie haben keinen verdächtigen Polizeibeamten verhaftet?«
»Nein, das haben wir nicht.«
»Haben Sie überhaupt jemanden verhaftet?«
»Nein, ebenfalls nicht. Wie war noch bitte Ihr Name?«
»Arne Lenström vom Correspondenten, wieso?«
»Ich möchte nur gern wissen, mit wem ich spreche.«
»Haben Sie irgendwelche Spuren?«
»Dazu möchte ich nichts sagen.«
»Sind Verdächtige verhört worden?«
»Wir haben eine Reihe von Verhören gehabt, ja. Und es werden wohl noch mehr werden.«
»Ist unter den Verdächtigen oder Vernommenen ein Polizeibeamter?«
Rune Jansson antwortete nicht. Statt dessen verfluchte er seinen Impuls, das Gespräch anzunehmen, statt nach Hause zu gehen.
»Hallo? Sind Sie noch da? Oder haben Sie den Hörer verloren?« Die heisere, aufdringliche Stimme klang beinahe triumphierend.
Rune Jansson holte erneut tief Luft, bevor er antwortete.
»Ich bin noch da.«
»Also noch mal von vorn. Ist unter den Verdächtigen oder Vernommenen ein Polizeibeamter?«
»Es versteht sich wohl von selbst, daß ich mich nicht dazu äußern kann, wer verdächtig ist oder nicht. Das müßte doch sogar ein Journalist verstehen?«
»Sie können also nicht dementieren, daß einer der Verdächtigen ein Polizeibeamter aus der Stadt ist?«
»Ich kann weder etwas bestätigen noch etwas dementieren, ich kann nur eine Antwort geben, und die lautet: kein Kommentar.«
»Herzlichen Dank«, sagte der Reporter fröhlich und legte auf.
Rune Jansson blieb eine Weile mit dem Hörer in der Hand sitzen und fragte sich, ob er richtig oder falsch geantwortet hatte. Er war der Meinung, keinen Fehler gemacht zu haben, und kam zu dem Schluß, sich anständig aus der Affäre gezogen zu haben.
Er würde sehr bald Anlaß bekommen, diese Meinung zu revidieren.
Er machte das Licht aus und ging nach Hause.
Man hatte in der Zwischenzeit Carls Wagen gewaschen. Das war offenbar ein Service, der im
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