Im Jahre Ragnarök
habe ich Zeit für Sie. Kommen Sie herein, Lieutenant.«
»Tausend Dank, zu gütig«, grummelte Tubber mit fest zusammengebissenen Zähnen und trat in den Raum auf der anderen Seite der Tür.
In dem engen, spartanisch eingerichteten Büro war es ebenso kalt wie draußen auf dem Gang.
Der Offizier nahm hinter dem Schreibtisch Platz. Tubber schaute sich um und bemerkte, dass kein weiterer Stuhl vorhanden war, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als zu stehen.
»Ich bin Lieutenant Morris, stellvertretender Adjutant des Stadtkommandanten Colonel McDowal«, stellte der Offizier sich vor, um dann ohne jede Begrüßung fortzufahren: »Wir haben die Sie betreffenden Instruktionen erst gestern erhalten.
Sie werden daher mit dem vorliebnehmen müssen, was sich in der kurzen Zeit arrangieren ließ.«
»Ich verstehe, Sir«, sagte Tubber und versuchte zu verbergen, wie unsympathisch ihm sein Gegenüber war. Dieser aknenarbige Lieutenant, den er etwa zehn Jahre jünger als sich selbst schätzte, tat nichts, um seine Geringschätzung zu verbergen.
»Würden Sie mich jetzt freundlicherweise zu Colonel McDowal führen?
Ich wurde angewiesen, mich bezüglich meines Auftrags ausschließlich an ihn persönlich zu wenden.«
»Ich bedauere, das ist nicht möglich.«
»Sir! Ich will gemäß meinen Befehlen mit dem Colonel zu sprechen und ...«
»Aber der Colonel will nicht mit Ihnen sprechen«, schnitt Morris ihm das Wort ab. »Der Stadtkommandant ist krank, sein Adjutant ebenfalls. Folglich werden Sie mit mir reden, ob es Ihnen nun passt oder nicht. Und glauben Sie ja nicht, dass ich darüber glücklich bin, als Handlanger für den JIS herhalten zu müssen. Niemand hier kann Ihresgleichen ausstehen, und da nehme ich mich nicht aus.«
Tubber blieb äußerlich ungerührt. Es war nicht das erste Mal, dass er auf diese Haltung traf. Eigentlich begegnete sie ihm sogar fast immer, wenn er sich gegenüber Briten als Angehöriger des Joint Intelligence Service zu erkennen gab, weshalb er es nach Möglichkeit vermied. Im gesamten Vereinigten Königreich galt der JIS als Spitzelorganisation, deren Hauptaufgabe es war, antiamerikanische Tendenzen mit allen Mitteln zu unterdrücken. Daran war sogar etwas Wahres, denn die Abteilung VI beschäftigte sich fast ausschließlich damit, darauf achtzugeben, dass die Untertanen Ihrer Majestät ihre Meinung über die USA nicht in unverantwortlicher Weise öffentlich preisgaben. Zwar hatte Tubber als Angehöriger des Overseas Intelligence Departments so gut wie nichts damit zu tun, doch er hatte längst begriffen, dass es sinnlos war, Außenstehenden diesen Unterschied erklären zu wollen.
Er fand sich resigniert damit ab, zu den Spitzeln gezählt zu werden.
Der Lieutenant übergab ihm einen Umschlag aus braunem grobem Papier. »Die Dokumente, die wir Ihnen ausstellen sollten. Passierscheine für die gesamte britische Besatzungszone, Beförderungsberechtigungen, Unterkunftsberechtigungen, Bezugsscheine und so weiter. Gültig für Sie und Ihre Begleitperson.«
»Danke, Sir. Und wo ist diese Begleitperson?«
»Warten Sie einen Moment«, verlangte Morris. Er stand vom Schreibtisch auf, öffnete die Tür seines Büros und rief dann zu Tubbers Verwirrung »Dünnbrot!« in den Korridor hinaus.
Gleich darauf betrat der Mann in der abgenutzten blauen Uniform, dessentwegen Tubber die lange Wartezeit im Stehen hatte verbringen müssen, den Raum. Er nahm Haltung an und meldete sich auf Deutsch mit den Worten: »Zur Stelle, Herr Leutnant!«
»Lieutenant Tubber, das ist Kommissar zweiten Ranges Günter Dünnbrot vom Ordnungsdienst«, erklärte Morris. »Er wird Sie bei Ihrem Einsatz begleiten und unterstützen.«
Einen Moment lang starrte Tubber irritiert den mageren Deutschen an, dann wandte er sich dem Offizier zu. »Hier muss ein Irrtum vorliegen«, sagte er ärgerlich.
»Mir sollte ein landeskundiger Angehöriger der britischen Armee als Begleitung zugeteilt werden.«
»Das ist mir bekannt. Aber bedauerlicherweise ist das nicht möglich. Nur zu Ihrer Information, momentan ist fast die Hälfte der Garnison dienstunfähig erkrankt, weil wir die Kaserne nicht mehr heizen können. Und die schwere Sturmflut vor zwei Wochen hat uns zudem fast fünfzig Tote und Verletzte gekostet. Wir können hier niemanden entbehren. Daher habe ich die Aufgabe, Sie zu begleiten, Kommissar Dünnbrot übertragen.«
»Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!«, platzte Tubber ungehalten heraus. »Wie stellen Sie sich das denn vor? Ich soll mit
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