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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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ständig verfügbare Landverbindung zur Versorgung des amerikanischen Hauptquartiers in Berlin dar.
Jedes Mal, wenn die Räder durch ein Schlagloch rumpelten, wurde der ganze Wagen von heftigen Stößen durchgerüttelt. Wie Dünnbrot trotzdem schlafen konnte, war Tubber ein Rätsel. Erst nach Helmstedt wachte der Polizist auf und übernahm das Steuer. Der Engländer lehnte sich auf dem Beifahrersitz zurück und begann, in Gedanken nochmals alle bisher entdeckten Spuren und Erkenntnisse durchzugehen. Zwischendurch ließ er den Blick über die Landschaft schweifen, doch die Aussicht war reizlos. Verkrautete, brachliegende Felder überzogen eine wellige Hügellandschaft ohne markante Eigenschaften. Nur gelegentlich unterbrach eine einsame Baumgruppe oder ein totes Dorf die endlose Gleichförmigkeit.
An einigen Stellen standen abseits der Straße rostige Wracks deutscher Panzerwagen und Halbkettenfahrzeuge immer noch dort, wo ihre Mannschaften sie bei Kriegsende aufgegeben hatten. Doch die meiste Zeit gab es nichts, das Tubber einen Blick wert gewesen wäre, und er vertiefte sich wieder in seine Überlegungen.

Östlich von Magdeburg veränderte die Umgebung ihr Gesicht. Die brachliegenden Äcker verschwanden, und stattdessen führte die Autobahn nun immer wieder durch ausgedehnte Kiefernwälder, die dem Auge noch weniger Abwechslung boten. Zunächst war das Tubber gleichgültig, denn er war voll und ganz damit beschäftigt, sich verschiedene Vorgehensweisen für seine Begegnung mit General Patton zurechtzulegen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Doch nach einer Weile erkannte er ernüchtert, dass in diesem Fall alle Vorausplanung vergeblich war, da es zu viele Unwägbarkeiten gab, die er nicht vorauskalkulieren konnte. Widerwillig fand er sich damit ab, improvisieren zu müssen, wenn es an der Zeit war.
Tubber beendete seine Überlegungen und schaute aus dem Fenster, um sich abzulenken.
Doch außer endlosen Reihen vorbeiziehender Bäume gab es nichts zu sehen, nicht einmal andere Fahrzeuge, sah man von einem einzelnen entgegenkommenden Ambulanzwagen des Spanischen Roten Kreuzes ab, an dessen Fahrerhaus eine schwefelgelbe Quarantäneflagge flatterte und alle Welt unmissverständlich warnte, dass Personen mit gefährlichen ansteckenden Krankheiten transportiert wurden. Bald langweilte Tubber sich so sehr, dass er nach einem Anlass zu suchen begann, ein Gespräch mit dem an diesem Tag besonders wortkargen Kommissar Dünnbrot zu beginnen. Als sein Blick auf die von Büchern ausgebeulte Manteltasche des Polizisten fiel, aus der ein abgestoßenes Reclamheft herausragte, reichte ihm das aus. Ihm war jeder Aufhänger recht, um das einschläfernde Schweigen zu durchbrechen.
»Sie haben ja eine Menge Bücher in Ihren Taschen verstaut«, bemerkte er.
Ohne wahrnehmbares Interesse entgegnete Dünnbrot: »Mit gutem Grund. Bücher sind das wenige Licht, das auf diesen trostlosen Planeten fällt. Oder sind Sie anderer Ansicht? Haben Sie was gegen Bücher?«
»Ganz und gar nicht!«, wies Tubber diese Vermutung zurück. »Ich habe sogar selbst einmal eins geschrieben.«
Erstaunt sah der Deutsche kurz zu Tubber. »Roman oder Lyrik?«
»Weder noch. Ein Sachbuch. Der Titel ist Die Topografie der Levante und Kleinasiens und ihre Bedeutung für die Kriegszüge der alten Welt von Thutmosis III. bis Marcus Licinius Crassus .«
»Ziemlich speziell. Wie kamen Sie dazu?«
»Geschichte hat mich schon immer fasziniert«, erklärte Tubber. »Anfang der Fünfziger wurde ich über Jahre hinweg immer wieder zu ausgedehnten Einsätzen in den Vorderen Orient abkommandiert, bei denen ich Gelegenheit genug hatte, Material zu sammeln. Schließlich habe ich daraus ein Buch gemacht.«
»War es erfolgreich?«
Tubber legte die Stirn in tiefe Falten. »Schön wär's. Ich hatte das Manuskript gerade fertiggestellt, als die britische Regierung die Papierrationierung für die Verlagshäuser drastisch verschärfte. Keiner wollte einen Teil seines knapp bemessenen Kontingents für mein Buch verwenden.« Tubber unterbrach kurz. Er wusste wirklich nicht, wieso er diese ärgerliche, sogar peinliche Geschichte ausgerechnet Dünnbrot erzählte. Doch dann fuhr er trotzdem fort: »Am Ende habe ich es mit meinen Ersparnissen im Selbstverlag herausgegeben. Eine der dümmsten Entscheidungen meines Lebens. Zwei Drittel der fünfhundert Exemplare liegen noch heute bei uns im Keller. Diese Schnapsidee – so sagt man im Deutschen doch? – führte zur ersten

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