Im Jahre Ragnarök
die sich Tubber mit seinem Satz manövriert hatte. Sie öffnete den Wagenschlag und reichte den beiden Männern nacheinander die Hand. »Willkommen heiß' ich meine schiffbrüch'gen Gäste.«
» ... and would have reft the fishers of their prey «, sagte der Deutsche daraufhin, ohne dass Tubber verstand, was er damit meinte.
Chantal Schmitt hingegen schien diese Worte zu kennen. Erstaunt hob sie die Augenbrauen und fragte ungläubig: »Sie sind mit Shakespeare vertraut?«
»Er ist sozusagen mein Begleiter auf allen Wegen«, bejahte Dünnbrot. »Wie viele andere Autoren ebenfalls. Bücher sind die Hüllen der Weisheit ... «
» ... bestickt mit den Perlen der Worte . Wie schön, endlich einmal auf jemanden zu treffen, der die Schätze der Literatur kennt und zu würdigen weiß.«
Dünnbrot nickte zustimmend. »Genau das Gleiche könnte auch ich jetzt sagen.«
Es war nicht dieser aus seiner Sicht befremdliche und unnötig zeitraubende Dialog zwischen dem Polizisten und Chantal Schmitt, der Tubber nervös machte. Es war das, was er dabei in der Mimik des Deutschen wahrnahm: Dünnbrot lächelte .
Es mochte ein etwas ungelenkes Lächeln sein, doch es war unverkennbar auf seinen Lippen sichtbar. Das irritierte Tubber. Leeres Desinteresse, düstere Bitterkeit, sogar Hass hatte er an Dünnbrot erlebt, und alles das hatte auch seinen Platz in diesem hageren Gesicht. Aber ein Lächeln? Das erschien Tubber absonderlich, ja widernatürlich.
Dank der weichen amerikanischen Federung des betagten Chryslers, die viel mehr von den dauernden Erschütterungen verschluckte als das spartanische Fahrgestell des Volkswagens, ging die Fahrt ein wenig komfortabler weiter. Da Dünnbrot sich beim Einsteigen kurzerhand neben Chantal niedergelassen hatte, nahm Tubber mit der zur Hälfte von aufgestapelten Koffern belegten Rückbank vorlieb, obwohl die durchgehende vordere Sitzbank der geräumigen einstigen Luxuslimousine auch ihm noch bequem Platz geboten hätte. Seine Stimmung war gereizt, und das nicht nur wegen der Ungewissheit, ob er noch zur rechten Zeit Potsdam erreichen und ob er überhaupt zu Patton vorgelassen würde. Es lag auch an der aufdringlichen Mischung von Parfümdünsten, die aus den Koffern aufstieg, den ganzen Wagen ausfüllte und seine ohnedies schon üblen chronischen Kopfschmerzen weiter verschlimmerte.
Hinzu kam, dass ihm das Gespräch zwischen Dünnbrot und der Fahrerin den letzten Nerv raubte. Seitdem beide entdeckt hatten, dass sie ähnliche literarische Vorlieben teilten, tauschten sie sich unentwegt über Autoren und Bücher aus und deckten sich gegenseitig voller Begeisterung mit Zitaten ein, von denen Tubber nicht einmal ein Bruchteil auch nur vage bekannt vorkam. Als sie schließlich begannen, im Wechsel Shakespeare'sche Sonette in deutscher Übersetzung zu rezitieren, wurde es Tubber zu viel. Er unterbrach sie rüde, indem er sich vorbeugte und mit den Worten dazwischenging: »Verzeihen Sie, Frau Schmitt, eine Bitte. Könnten Sie mich in Potsdam irgendwo bei Schloss Sanssouci absetzen?«
»Sanssouci? Nun sagen Sie bloß, Sie möchten da General Patton besuchen!«
»So etwas Ähnliches«, entgegnete Tubber ausweichend.
» Ah! Die Generäle! Sie sind viele, doch sie taugen nur wenig! «, deklamierte sie überzogen ernsthaft.
»Molière?«, riet Dünnbrot unsicher.
Chantal schüttelte den Kopf und lachte. »Ganz kalt. Aristophanes, Die Acharner .«
Der Deutsche schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Aber ja, natürlich!
Sagen Sie, welche Übersetzung ist das?«
»Das ist mir gerade entfallen, aber wir können es herausfinden. Mr. Tubber, würden Sie bitte einen Blick in den großen braunen Koffer werfen? Dort müsste ein Band mit den Komödien des Aristophanes im Innenfach stecken.«
Tubber öffnete die Schnappverschlüsse des Koffers. Als er dann den Deckel anhob, traute er seinen Augen nicht: Ganz zuoberst lag die sorgfältig zusammengelegte Uniform eines weiblichen Colonels der US-Armee.
Misstrauisch, aber vor allem verwirrt wandte sich Tubber an die Fahrerin: »Sagten Sie nicht, Sie wären Luxemburgerin? Was stellen Sie dann mit dieser Uniform an?«
»Ach, die? Die brauche ich für meine Domina-Nummer«, erklärte sie.
»Ihre ... Ihre Domina-Nummer ?« Tubber verschluckte sich beinahe und musste husten.
»Natürlich nur für besondere Stammkunden. Erstaunlich viele höhere Offiziere zahlen gut dafür, von einer Frau in Uniform herumkommandiert zu werden. Das sind mir auch die liebsten
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