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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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plötzlich fand er sich an einem großen Tarnnetz wieder, das offenbar zum Trocknen zwischen zwei Bäumen aufgespannt war. Vorsichtig zog er mit zwei Fingern die Maschen mit dem künstlichen Laub einen halben Zoll weit auseinander und blickte hindurch.
Das Erste, was er sah, waren zwei Paar gummibesohlter amerikanischer Militärstiefel, keine sechs Fuß entfernt. Die beiden Männer in den bräunlich grünen Armeemänteln standen mit den Rücken zum Waldrand, sodass Tubber ihre Gesichter nicht erkennen konnte. Aber das war ihm recht, denn so konnten sie ihn gleichfalls nicht bemerken, zumindest solange sie sich nicht umdrehten.
Sie verfolgten offenbar aufmerksam das Geschehen im Zentrum der großen Lichtung, wo die Scheinwerfer gut zwanzig in weitem Halbkreis aufgestellter Lastwagen und die hoch auflodernden Flammen eines mächtigen brennenden Holzstoßes ein gespenstisches Szenario in ein helles, pulsierendes Licht tauchten. Vor den überwucherten Ruinen von Carinhall formierten sich zum donnernden Hämmern der Marschmusik etwa hundert junge Männer, alle in olivgrüne amerikanische Felduniformen gekleidet, in einer vier Glieder tiefen Reihe. Sie trugen Armbinden mit dem Hakenkreuz; Hakenkreuze prangten auch auf den Dutzenden blutroten Bannern, die ringsum an Masten hingen, immer im Wechsel mit nachtschwarzen Flaggen mit den blitzförmigen weißen SS-Runen. Unter den Bannern hatten gut zwanzig weitere Männer Aufstellung genommen; in feierlicher Starre hielten sie Fackeln, während der flackernde Widerschein des Feuers ruhelos immer neue Schatten aus den harten Linien ihrer Gesichter modellierte und groteske Masken über ihre versteinerten Züge legte.
Tubber erschauderte. Dieses Schauspiel jagte ihm Furcht ein. Und er spürte die Gegenwart des Unheils. Oder des Bösen, der Vernichtung, des Todes. Ja, das ist der Tod , dachte er und schluckte mühsam die ätzende Galle herunter, die bis in seinen Rachen vorgedrungen war. Er wusste aus Erfahrung, wie sich die Anwesenheit des Todes anfühlte: ein dumpfer Druck, der sich niedersenkte und alles umschloss. Der Tod war hier.
Aus dem Nichts durchfuhr ein kurzer Schmerz Tubbers rechte Schläfe. Etwas Hartes hatte ihn am Kopf getroffen und war dann neben seiner Hand auf den Boden gefallen. Er fuhr erschrocken zusammen. Hatte man ihn entdeckt?
Langsam ließ er den Blick umherwandern. Doch er konnte nichts Verdächtiges erkennen. Nichts regte sich zwischen den Bäumen, soweit er im Schein des dünnen Mondlichts und dem Abglanz des riesigen Scheiterhaufens auf der Lichtung sehen konnte. Seine Finger tasteten auf dem klammen Waldboden nach dem Objekt und fanden eine kleine Metallscheibe. Er befühlte die unregelmäßige Oberfläche zwischen den Fingerspitzen, während er sich nochmals vergewisserte, dass sich auch tatsächlich niemand in der Nähe befand. Dann kam er zu dem Schluss, dass irgendein Nachtvogel wohl das kleine Metallstück fallen gelassen haben musste. Er steckte es in die Tasche und vergaß es auf der Stelle, denn etwas anderes zog Tubbers Aufmerksamkeit auf sich. Einer der beiden Männer jenseits des Tarnnetzes hatte zu sprechen begonnen und sagte beiläufig:
»Nürnberg ist das zwar nicht, aber trotzdem eine ganz nette Inszenierung. Nicht wahr, Sturmbannführer?«
»Gehn's, Graufeld, des ist net wichtig«, antwortete der andere. Tubber konnte die Stimme mit dem österreichischen Akzent sofort identifizieren; es war eindeutig Otto Pallasch, der ihm schon so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte. Würde er jetzt zur Abwechslung für die Klärung einiger Fragen sorgen, statt ständig neue Rätsel aufzugeben? Tubber wagte es kaum zu hoffen.
»Die kleine Schau, die wir aufziehen, reicht völlig aus«, fuhr Pallasch fort. »Wir haben hier ja auch keine Riefenstahl, die den ganzen Pallawatsch für die Ewigkeit festhält. Trotzdem schön, das noch ein letztes Mal sehen zu können. Es wird ja wohl keine weiteren Aufnahmezeremonien mehr geben.«
»Wenn Wotan und alle anderen acht Ausbildungslager heute Nacht aufgelöst werden, kann das ja nur heißen, dass etwas Großes ins Haus steht. Vielleicht das, worauf wir uns seit Jahren vorbereiten – was immer das auch sein wird. Aber wir müssen ja auch nicht unbedingt wissen, was von uns denn eigentlich erwartet wird«, sagte der Mann, den Pallasch als Graufeld angesprochen hatte, verdrießlich.
»Wir werden es noch rechtzeitig erfahren, Hauptsturmführer. Die Wege des Reichsführers sind unergründlich, aber er weiß ganz sicher,

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