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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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langem Mantel und Stahlhelm mit umgehängter Maschinenpistole an die Wagen herantrat und einige Worte mit den Fahrern zu wechseln schien. Dann dröhnten die Motoren wieder auf, die Laster setzten sich in Bewegung und passierten das Tor.
Tubber erkannte die Gelegenheit und startete den Motor. Im Rückwärtsgang fuhr er schnell hinter die Wegbiegung zurück, wo ihn die dicht beieinanderstehenden Bäume den Blicken der Wachen am Tor entzogen. Nachdem die Geräusche der Lastwagen in der Ferne verklungen waren, lauschte Tubber noch einige Minuten aufmerksam in die Nacht hinaus. Alles blieb ruhig.
Tubber wandte sich an Greta. »Was meinen Sie, wo sind wir hier?«, flüsterte er.
»Das könnte die Einfahrt nach Carinhall sein«, antwortete sie viel leiser, als nötig gewesen wäre. Sie gab sich gelassen, doch ein leichtes Zittern in der Stimme verriet, wie aufgeregt sie tatsächlich war. »Chantal und ich waren vor Jahren mal mit einem etwas seltsamen Ami hier, der es unbedingt in den Ruinen haben wollte.
Ich erinnere mich nicht ganz genau, wie das Tor aussah, aber das da könnte es sein.«
»Ganz wie ich vermutet hatte«, meinte Tubber, wobei er versuchte, die von Gretas unverblümten Worten aufgewirbelten peinlichen Phantasien zu unterdrücken.
»Und was haben Sie jetzt vor?«
Tubber antwortete nicht. Aber was zu tun war, wusste er ganz genau. Er musste erkunden, was sich hinter dem Tor befand. Und dazu würde er, falls sich kein anderer Weg fand, die Wachen beseitigen. Ganz nach Lehrbuch. Er ekelte sich jetzt schon.
Der Anfang stellte keine Herausforderung dar. Tubber hielt sich außerhalb des bescheidenen Sichtfelds der Wachen und schlich bis zur Rückseite der ausgebrannten Hausruine links der Straße. Dort erfasste er mit geschultem Blick seine Umgebung und wählte einen Stapel alter Öltonnen als Deckung. Wie sich zeigte, war es das ideale Versteck, denn durch einen Spalt zwischen den Fässern konnte er ungesehen die Posten im Auge behalten.
Lautlos atmete Tubber durch. Bis hierher war alles reibungslos und wie im Lehrbuch abgelaufen. Das Anschleichen war die auswendig gelernte Pflichtübung gewesen.
Nun musste er sich der unangenehmen Kür stellen. Und zudem musste er alles möglichst schnell hinter sich bringen, da jede verstrichene Sekunde das Risiko erhöhte, dass jemand den mitten auf dem Waldweg stehenden Chrysler und somit Greta entdeckte.
Tubber blickte sorgenvoll nach oben. Zwischen den Wipfeln der Kiefern glitzerten die Sterne am klaren dunklen Himmel. Die letzten Wolkenschleier waren verschwunden, das Licht des tief hängenden Halbmonds erfüllte nun unangefochten die Nacht mit einer harten Helligkeit, in der jeder noch so kleine Schatten tintenschwarz und präzise umrissen war.
Einerseits stellte es für Tubber ein Problem dar, dass er sich nun nicht mehr auf den Schutz der Dunkelheit verlassen konnte. Doch dafür, und das wog die neu entstandenen Erschwernisse auf, konnte er jetzt verfolgen, wie die beiden Wachposten sich verhielten.
Von seinem Versteck aus sah er das Tor und konnte nach links hin etwa fünfzig Meter der Mauer überblicken, die das Gelände von Carinhall umschloss. Für einen Augenblick wog er die Möglichkeit ab, die Konfrontation mit den Wachen völlig zu vermeiden und stattdessen lieber eine Stelle zu suchen, an der er die Mauer überwinden könnte. Doch er verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Die Mauer war zu hoch, um einfach hinüberzuklettern, und ihm fehlte die Zeit, sich auf gut Glück auf die Suche nach einem eingestürzten Abschnitt zu machen. Jede Sekunde, die verstrich, erhöhte das Risiko, dass man Greta oder ihn entdeckte. Er musste also den direkten Weg wählen, ob es ihm gefiel oder nicht. Und es gefiel ihm keineswegs.
Einige Minuten genügten Tubber, um die Routine der beiden Wachen zu erfassen.
Einer der Posten verharrte immer am selben Fleck. Er stand im rechten Torpfeiler, der als Schilderhaus erbaut war, hauchte sich von Zeit zu Zeit in die Hände und bewegte die Füße ein wenig, doch er verließ seinen Platz nicht. Der andere hingegen war ständig in Bewegung. Er ging zu beiden Seiten des Tores an der Mauer entlang; etwa dreißig Meter links der Zufahrt machte er jedes Mal kehrt, stets an derselben Stelle vor einem dicken Baum. Im Kopf zählte Tubber die Sekunden mit; jede der ohne Eile absolvierten Runden des Postens dauerte fast genau vier Minuten.
Tubber beobachtete den Ablauf dreimal, dann hatte er genug gesehen. Er wusste nun, wie er die Wachen ausschalten

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