Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
Vom Netzwerk:
den Benzintank durchschlagen.«
Sofort war Tubber hellwach. »Sind Sie da ganz sicher?«
»Während Sie hier geschlafen haben, bin ich schon unter das Auto gekrochen.
Der Kraftstoff ist restlos ausgelaufen, und selbst wenn wir irgendwo neues Benzin auftreiben könnten – der Tank lässt sich nicht so einfach flicken.«
» Cripes! «, fluchte Tubber. »Ich muss mir das selber ansehen! Vielleicht irren Sie sich!«
»Ganz wie Herr Leutnant wünschen«, meinte der Deutsche schulterzuckend und verließ den Wagen. Tubber öffnete die Tür und wollte aussteigen. Als er aber seine Füße bewegte, merkte er, dass sie kalt und taub waren, ganz so als hätte er tatsächlich im Schnee gestanden.

Günter Dünnbrot hatte sich nicht geirrt. Eine einzige Kugel hatte den Chrysler getroffen und dabei so unglücklich das Blech des Benzintanks aufgerissen, dass der Wagen nun unbeweglich auf dem verwilderten Seitenstreifen festlag wie ein gestrandeter Wal am Meeresufer.
»Ich habe wirklich in letzter Zeit nicht viel Glück mit Autos«, murmelte Tubber, nachdem er wieder unter dem Wagen hervorgekrochen war und sich den Dreck von der Hose klopfte. »Wo sind wir hier eigentlich?«
»Kurz vor Groß Köris«, antwortete Chantal und deutete dabei auf ein schräg zur Seite abgesacktes Richtungsschild, das in einiger Entfernung am Straßenrand stand und dessen weiße Beschriftung auf blauem Grund fast bis zur Unleserlichkeit abgeblättert war.
»Weit weg von unserem Ziel«, fügte Greta hinzu. »Hilfe werden wir hier nirgendwo finden, die ganze Gegend ist seit Jahren verlassen. Und auf die wenigen Leute, die sich hier in den Wäldern abseits der Autobahn herumtreiben, will ich lieber nicht stoßen.«
Dünnbrot rückte seine ausgeblichene Uniformmütze einen Fingerbreit höher und verschränkte die Arme vor der Brust. »In eine schöne Lage haben Sie uns da gebracht, Herr Leutnant. Wir können nicht zurück, weil es für uns kein Zurück mehr gibt. Vorwärts geht es erst recht nicht mehr. Wir können nur noch hier sitzen und warten, bis uns der Ami in die Finger bekommt. Das Hoffnungslose kündet schnell sich an. «
»Halten Sie endlich Ihr gottverdammtes Mundwerk!«, brach es aus Tubber hervor.
»Ich weiß nicht, wie es weitergeht! Zum Teufel, ich weiß nicht einmal, wie es überhaupt zu alledem hier kommen konnte! Dieser ganze Mist passiert einfach, und ich habe keine Ahnung wieso!«
Der brüllende Engländer bot mit seinem roten Kopf und den geschwollenen Adern an den Schläfen einen so furchterregenden Anblick, dass Greta und Chantal zusammenfuhren und selbst Dünnbrot erschrak. Doch lange hielt Tubbers ziellos aufwallende Mischung aus Wut, Frustration und Hilflosigkeit nicht vor. So unvermittelt sie aus ihm hervorgebrochen war, versiegte sie auch wieder. Tubber wandte sich wortlos ab und ging auf den nahen Waldrand zu. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben.
Unter den weit ausladenden Ästen der ersten Fichten blieb Tubber stehen. Seine Schuhsohlen sanken tief in einen dichten, weichen Teppich abgestorbener brauner Nadeln, aus dem ein modriger Erdgeruch aufstieg.
Warum mache ich das alles überhaupt? , fragte er sich. Ich bin suspendiert, obendrein ein Befehlsverweigerer, ich bin auf der Flucht ... Wozu bloß tue ich mir das an? Es ist, als hätte mich irgendetwas bis hierher getrieben ... doch was? Was? Er holte seine Brieftasche hervor und betrachtete nachdenklich Ingrids Foto, das hinter einem Zellophanfenster steckte. War sie vielleicht der Grund, warum er sich so sehr in dieses gefährliche und doch eigentlich nutzlose Unterfangen verbissen hatte? Wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, sie durch einen aufsehenerregenden Erfolg zurückgewinnen zu können, und zwar für immer?
»Sie ist sehr schön«, hörte er Gretas Stimme hinter sich.
Tubber drehte sich zu ihr um. »Ja, das ist sie«, bestätigte er leise.
»Ist sie Ihre Frau?«
»Sie war es. Ich habe sie verloren.« Für einen Moment sah Tubber gedankenverloren auf das kleine Schwarz-Weiß-Foto. Dann hob er den Kopf, versuchte aber Gretas fragenden Blicken auszuweichen. Er schaute an ihrem Gesicht vorbei und fixierte, ohne tatsächlich etwas wahrzunehmen, die dichten Baumreihen jenseits der Straße. »Sie musste ein elendes Leben führen, weil ich mir durch Halsstarrigkeit und Uneinsichtigkeit die Karriere ruiniert habe. Das hat sie lange hingenommen.
Bis gestern.«
Tubber blinzelte mehrmals in rascher Folge. Er spürte, dass seine Augen feucht wurden, aber um nichts in der Welt

Weitere Kostenlose Bücher