Im Jahre Ragnarök
es spüren. Doch er musste es ignorieren. Jetzt war nicht die Zeit, in sich hineinzuhorchen.
»Dies, meine Herren, ist das Freya-Gerät, Ausführung VI«, erklärte Köhler stolz und setzte mit Betonung hinzu: »Meine Erfindung.«
Tubber war verunsichert. Die Nazis, so überlegte er sich, hatten diese merkwürdige Anlage gewiss nicht in aller Eile als Attrappe gebaut, um ihn irrezuführen.
Aber wozu diente sie tatsächlich?
»Und das hier ist mein Assistent, Doktor Ecke«, stellte der Professor den blassen Mann knapp vor.
Dem Tonfall war deutlich zu entnehmen, dass Köhler seinem Helfer keine große Bedeutung beimaß. »Ich hoffe doch sehr, dass Freya einsatzbereit ist, Ecke.«
»Jawohl, Herr Professor«, bestätigte der Doktor. »Allerdings mit geringen Einschränkungen, vermutlich wegen Sonnenaktivität. Der Zeitraum September 614 bis August 911 ist nicht erreichbar.«
Köhler runzelte die Stirn. »Immer dasselbe. Man könnte fast meinen, diese drei Jahrhunderte existierten gar nicht. Nun, egal. Ecke, das hier sind ein englischer Geheimdienstoffizier und ein früherer Angehöriger des Ordens. Der Reichsführer möchte sie für die Zusammenarbeit mit uns gewinnen und legt daher Wert darauf, dass ihnen Freya vorgeführt wird. Öffnen Sie Standard-Tor 4.«
»Selbstverständlich, Herr Professor. Ich leite alles in die Wege.« Eifrig machte sich der Doktor daran, Schalter und Drehregler zu bedienen. Bei jedem Handgriff erloschen einige der unzähligen Lämpchen, und andere leuchteten plötzlich auf oder begannen zu blinken.
Während Ecke augenscheinlich routiniert Einstellungen vornahm, ließ der Professor beinahe zärtlich die Fingerspitzen über die graue Oberfläche eines der Metallgehäuse gleiten. Sein Gesicht nahm einen seltsam verträumten Ausdruck an.
»Es war Anfang 1945. Ich hatte mich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet, um das Vaterland gegen die bolschewistische Flut zu verteidigen. Da lag ich also in einer Februarnacht in einem Schützenloch auf den Seelower Höhen und wartete wie Tausende Kameraden auf das Losbrechen des Sturms. Ich blickte eine Weile hinauf zum Himmel, und plötzlich hatte ich die Eingebung! Ich wusste, wie sich ein Menschheitstraum, die Überwindung der Zeit, erfüllen ließe! Das physikalische Prinzip des Zeitportals stand mir mit einem Mal vor Augen, und es war so einfach, so wunderschön in seiner kristallklaren Schlichtheit, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.«
»Ergreifend«, bemerkte Dünnbrot trocken. Doch der Professor war so in seine Erinnerungen vertieft, dass er diesen Einwurf nicht wahrnahm und fortfuhr:
»Wir warteten Tag um Tag, Nacht um Nacht, doch der Angriff der sich nun gegenseitig bekriegenden Bolschewisten kam nie. Schließlich zogen wir von der Oder ab, um uns im Westen dem Feind entgegenzustellen. Allerdings verschlug es mich stattdessen in die Gefolgschaft des Reichsführers. So gelangte ich hierher,
auf die Odinsburg. Und es gelang mir, den Reichsführer davon zu überzeugen, dass meine Eingebung ein unschätzbares Geschenk der Vorsehung war.«
»Es ist soweit, Herr Professor«, meldete Ecke.
Köhler blinzelte kurz, als er so abrupt wieder in die Gegenwart zurückgeholt wurde.
Der schwärmerische Ausdruck verschwand sofort, sein Gesicht nahm wieder die vorherigen dünkelhaften Züge an und er wies seinen Assistenten an, das Portal zu öffnen.
Ecke betätigte einen Drehschalter. Ein leises Brummen ging auf einmal von den beiden großen Spulen aus, überlagert von einem statischen Knistern. Dann drückte der Doktor einen unscheinbaren gelben Knopf.
Im gleichen Moment, als der Raum zwischen den Spulen von einem gleißenden bläulich weißen Licht erfüllt wurde, durchfuhr Tubber ein unsagbarer Schmerz. Er schrie auf und presste sich die Hände an den Kopf.
Ihm war, als würde sein Hirn in einem Flammenmeer verbrennen und die Hitze seinen Schädel sprengen.
Für einen Moment verlor er die Kontrolle über seinen Körper. Fast wäre er brüllend zu Boden gefallen, hätte ihn Dünnbrot nicht im letzten Moment gestützt. Erst nach einigen Sekunden, als sich auch das grelle Lichtfeld auf dem Podest stabilisiert hatte und nicht mehr flimmerte, ließen die Schmerzen nach, ohne aber ganz zu verschwinden.
Überrascht, aber keineswegs irritiert, betrachtete ihn der Professor. Der erste halbwegs klare Gedanke, den Tubber wieder fassen konnte, war, dass Köhler ihn mit dem gleichen empfindungslosen Blick musterte, mit dem ein Wissenschaftler die Reaktionen einer Labormaus
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