Im Jenseits ist die Hölle los
von der Jagd, kehrte der Geisterhund Toni ziemlich erschöpft zurück. In seinem angestammten Waldstück legte er sich unter eine Fichte, streckte die Beine von sich und schlief ein. Am nächsten Tag würde er, sobald er sein Herrchen und dessen neuen Hund witterte, wieder mit dem bewährten Zirkus beginnen.
Während wir ins Stadtzentrum zurückkehrten, erzähl te Hinnermäki:
»Einmal, als ich den Mond besuchte, das war im Herbst vergangenen Jahres, sah ich dort am Hang eines Kraters fünftausend Schafe, die nicht wussten, wie sie wieder auf die Erde gelangen sollten. Irgendjemand erzählte, dass die Herde zwei Tage zuvor in Australien geschlachtet worden war, irgendwo in den nördlichen Regionen.«
Und als im Hafen gerade eine rote Autofähre der Viking-Linie einlief, begleitet von einer riesigen Schar Möwen, zeigte Hinnermäki auf die kreischenden Vögel und sagte:
»Auch mehr als die Hälfte dieser Möwen ist tot. Wenn du genau hinsiehst, kannst du erkennen, dass die, die am waghalsigsten fliegen, nicht mehr leben. Man er kennt es daran, dass manchmal eine durch die andere hindurchfliegt.«
10
Da es Herbst war, besuchte ich Lappland und bewun derte die Laubfärbung, die in voller Pracht strahlte. Ich schwebte ein paar Tage über die roten Fjälls, und der Anblick der einsamen Natur tat mir außerordentlich wohl.
Auf dem Rückweg machte ich am Busbahnhof von Mäntsälä Halt, wo sich eine kleine Gruppe meinesglei chen, also Tote, versammelt hatte.
Zwei Männer und eine Frau standen um einen sitzen den Mann herum, die Stimmung schien äußerst geladen zu sein, zumindest gaben sich die drei Stehenden sehr bedrohlich. Die beiden Männer trugen Schaftstiefel und schäbige Arbeitskleidung, die darauf hindeutete, dass sie bereits vor dem Krieg gestorben waren. Die Frau war alt und runzelig, vielleicht war sie einmal Wäscherin oder Schröpferin gewesen. Im Gegensatz dazu war der eingekreiste Mann wie ein reicher Bauer gekleidet. Er trug Reithosen und Lederstiefel. Die anderen beschimpf ten ihn heftig und drohten ihm immer wieder mit den Fäusten. Der Bedrohte nickte ergeben und versuchte seine Widersacher sanft anzulächeln. Ihm war anzuse hen, dass er unter der Behandlung litt.
Es handelte sich eindeutig um Belästigung. Hin und wieder führten die Angreifer einen heftigen Faustschlag in Richtung des Mannes, sodass dieser instinktiv den Kopf einzog. Geschmerzt hätte ihn ein Schlag nicht, selbst wenn er ihn mitten ins Gesicht bekommen hätte. Geister kann man nicht verprügeln. Aber eine drohende Geste lässt selbst einen Toten zusammenzucken.
Plötzlich drehte die runzelige Frau dem Gescholtenen den Rücken zu, hob den Rock hoch und zeigte ihm ihr nacktes Hinterteil. Sie trug keinen Schlüpfer. Dieser Anblick ließ den Mann erschauern und erfüllte ihn zugleich mit tiefer Scham.
Ich trat näher und fragte die drei Leute, warum sie den betagten Bauern derartig behandelten. Einer der Männer drohte mir mit der Faust und sagte:
»Das geht Sie nichts an. Wir bestrafen den Kerl bloß ein bisschen.«
Ich zog mich zurück, und die Aktion ging weiter. Nach einiger Zeit fanden die Angreifer, dass der Mann genug hatte, und entfernten sich. Im Gehen sagten sie dro hend:
»Nach einem Jahr bist du wieder fällig, denk daran!« Erleichtert atmete der Mann auf. Ich half ihm hoch,
obwohl er es auch allein geschafft hätte, körperliche Wunden entstehen bei einem Geist ja nicht. Ich fragte den Misshandelten nach der Ursache für den Vorfall. Mit einem matten Lächeln sagte er:
»Sie sind ein junger Mann, also kennen Sie mich nicht. Ich bin Vihtori Kosola.«
Er erzählte, dass er zu Lebzeiten die politisch umstrit tene Lapuabewegung angeführt habe und später Vorsit zender der Vaterländischen Volksbewegung gewesen sei, nämlich bis 1936.
»In jenem Jahr starb ich.«
Dieser Mann war also der berühmte Vihtori Kosola. Ich hatte viel über ihn gelesen: Er war hart und grau sam gewesen, und seine politischen Mittel hatten vor rangig aus Gewalt und Gesetzlosigkeit bestanden. Er wurde gehasst und gefürchtet, von seinen Anhängern jedoch geradezu vergöttert. Er war ein ostbottnischer Bauer, ein rechtsextremer Faschist, ein gnadenloser Menschenjäger und Kommunistenhasser gewesen.
Und jetzt war er ein fügsamer alter Mann, der seine Taten zugab, sich für sie schämte und sich freiwillig quälen und beschimpfen ließ. Wie der Tod doch den Menschen verändert, dachte ich. Vorsichtig
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