Im Jenseits ist die Hölle los
die Situation grotesk. Viro bedachte den Hund, der um ihn herumsprang, mit keinem einzigen freundlichen Wort und keinem Streicheln, sondern ging einfach weiter und redete wie bisher mit sich selbst, ja, er blickte nicht einmal zu dem Pudel hin, der auf so rührende Weise versuchte, seine Gunst zu gewinnen.
Auch der Hund des Pastors beachtete den Pudel, der ihn immer wieder angriff, überhaupt nicht, sondern schnüffelte auf der Erde herum und lief weiter, wobei er heftig an der Leine zog, sodass sein Herrchen ihn mit sanften Worten bremsen musste.
Propst Hinnermäki sah mich bedeutungsvoll an. »Was sagst du? Eine recht eigenartige Szene, oder?« Ich musste zugeben, dass ich verblüfft war. Derglei
chen hatte ich noch nicht gesehen und bat Hinnermäki um eine Erklärung, was hier eigentlich los war. Der Propst begann zu erzählen:
»Du weißt vielleicht nicht, dass Voitto Viro seinerzeit auch in der Öffentlichkeit behauptete, sein Hund Toni besitze eine Seele genau wie, laut christlichem Glauben, ein Mensch. Er nannte Toni seinen Bruder, und als dieser starb, trauerte der Pastor lange und aufrichtig. Im vorigen Winter schrieb er sogar ein Buch über seinen Hund.«
Jetzt besann ich mich auf den Fall und erinnerte mich dunkel, dass Voitto Viro in irgendeiner Zeitung oder im Radio erwähnt hatte, sein Hund komme nach dem Tod garantiert in den Himmel, nicht anders als ein frommer Mensch. Hinnermäki berichtete weiter:
»Um die Seele dieses Hundes entspann sich damals ein richtiger theologischer Disput zwischen Voitto Viro und einigen engstirnigen Kirchenmännern. Voitto Viro beharrte auf seinem Standpunkt, und über das Problem der Hundeseele konnte keine Einigung erzielt werden, zumindest nicht innerhalb der Kirche. Unter Laien wird ja sogar darüber gestritten, ob der Mensch überhaupt eine Seele hat, nun ja, das ist wieder eine Sache für sich und gehört nicht hierher. Auf jeden Fall verband Voitto Viro und seinen Hund eine wirklich beispielhafte Freundschaftsbeziehung. Nach Tonis Tod brauchte der Pastor lange, ehe er sich entschied, einen neuen Hund anzuschaffen, jenen, den er jetzt ausführt.«
»Das kenne ich sonst nur von Menschen: Wenn sich Ehepartner sehr nahe stehen und einer von ihnen stirbt, dauert es oft Jahre, ehe der andere daran denkt, wieder zu heiraten, wenn er es überhaupt tut«, sagte ich.
Das Ganze bewies jedenfalls, dass in einigen Fällen auch Tiere nach ihrem Tod quasi als Geister weiterleb ten. Voitto Viros Reden von der Seele des Hundes waren demnach durchaus nicht aus der Luft gegriffen.
Tonis Gekläff erklang nun vom Hof der Gesamtschule, den Voitto Viro gerade mit seinem Hund überquerte. Ich fragte Hinnermäki, ob Toni das einzige Tier im Jenseits sei, und er antwortete:
»Hier sieht man manchmal scharenweise tote Tiere. Man braucht nur zu einem Schlachthof zu gehen, dann kann man beobachten, wie aus den Fenstern und Türen pausenlos Kühe, Schafe, Pferde und Schweine quellen
und zum Himmel schweben in genau dem gleichmäßi gen und tödlichen Takt, in dem diese Tiere drinnen geschlachtet werden. Einmal wurde ich Zeuge, wie auf einer großen Hühnerfarm tausend überalterte Legehen nen für den Kochtopf ausgemustert wurden. Damals schwebten länger als eine Stunde kopflose Hühner über dem Gelände.«
»Wieso habe ich dann bisher nur diesen einen Hund gesehen?«, wandte ich ein. Hinnermäki zeigte auf den Schulhof, wo ein Schäferhund herumstrich und gerade das Bein hob, um an die Jeans einer Lehrerin zu pin keln. Als das Hosenbein der Frau nicht nass wurde, begriff ich, dass Voitto Viros Toni nicht der einzige Hund bei uns im Jenseits war. Hinnermäki ergänzte noch:
»Im Allgemeinen verflüchtigen sich die Tiere bald nach ihrem Tod, denn sie haben ja zu Lebzeiten keine eigent liche Denktätigkeit ausgeübt. Ihnen ergeht es so wie den dümmsten Menschen: Gedankenkapital ist nicht vor handen, und somit gibt es auch keine lange Existenz nach dem Tod. Voitto Viros Toni ist eine Ausnahme – vielleicht hat ihm sein Herrchen ständig vom himmli schen Dasein erzählt und der Hund hat sich schon zu Lebzeiten mit dem Gedanken beschäftigt. Außerdem vergeudet Toni seine Energie nicht sinnlos: Wenn er den neuen Hund seines Herrchens genug angebellt hat, kehrt er um und verzieht sich in das Waldstück hinter der Kirche, wo er zufrieden seine Tage verbringt.«
Wenig später verebbte tatsächlich das Gebell in dem Gelände, in das Voitto Viro gegangen war. Als käme er
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