Im Jenseits ist die Hölle los
Spiegel das Haar zurecht, zupfte mit der Pinzette an ihren Au genbrauen herum, schminkte sich die vollen Lippen, grimassierte ein paar Mal, um die passende Miene her vorzulocken. Sie wählte einen halb schwermütigen, halb sehnsuchtsvoll heiteren Blick. Durch den Spiegel hin durch starrte ich ihr fest in die Augen und konnte so ihre Gedanken lesen, die um die Wahl des Gesichtsaus drucks kreisten:
»Ich sehe besser aus, wenn ich traurig blicke. Sind meine Lippen eigentlich zu dick? Vielleicht sollte ich sie ein bisschen kleiner malen. Oder ich gebe zum Aus gleich ein bisschen Rouge auf die Wangen. Ja, das ma che ich.«
Sie verteilte das kosmetische Produkt an den entspre chenden Stellen und wirkte zufrieden, als sie das Er gebnis betrachtete. Während sie anschließend pinkelte, sah ich mich prüfend im Bad um, ob dort noch irgend etwas an mich erinnerte.
Mein Rasierzeug war weg. Auch mein Bademantel war entfernt worden. Das Handtuch dagegen hing noch da, es war mit Sonnenblumen verziert, und auf die größte in der Mitte hatte meine Frau seinerzeit in Blockbuchsta ben das Wort VATI gestickt. Das war damals gewesen, als wir beschlossen hatten, uns ein Kind anzuschaffen. Wenn das dann doch nicht geklappt hatte, lag es daran, dass meine Frau heimlich begonnen hatte, die Pille zu nehmen. Zudem hatte sie noch behauptet, ich sei un fruchtbar! Nun, so viel zu diesem Thema. So hatte ich wenigstens keine Waisen hinterlassen.
Als meine Witwe mit dem Pinkeln fertig war, ging sie wieder ins Wohnzimmer. Bald würde der Gast eintreffen, alles war vorbereitet. Ich rätselte, wen sie wohl erwarte te, und kam zu dem Ergebnis, dass es sich vermutlich um ihre Schwester handelte, die Frau also, die auf meiner Beerdigung so attraktiv ausgesehen hatte. Daher beschloss ich zu warten, denn es würde mir eine Freude sein, sie wiederzusehen.
Als es an der Wohnungstür klingelte, eilte ich in den Flur. Ungeduldig wartete ich auf meine Witwe, die ge ziert zur Tür stöckelte. Bevor sie öffnete, überprüfte sie im Flurspiegel noch einmal ihr Gesicht.
Ein Mann stand draußen, ein großer Kerl, der seine Pranke um einen Blumenstrauß presste. Er lächelte dümmlich und machte eine übertriebene Verbeugung, ehe er hereintrampelte. Herrgott, war ich wütend!
»Ich hab unterwegs ein paar Blumen gekauft«, sagte er, und seine Ohren glühten. »Ich dachte, vielleicht muntern sie dich auf. Aber ich weiß gar nicht, ob sich das in der Trauerzeit überhaupt schickt.«
Meine Witwe antwortete scheißfreundlich: »Blumen geben dem Menschen Kraft in der Trauer…
wie auch in der Freude. Nun tritt erst mal ein.« Der Mann dachte bei sich: »Es hat sich gelohnt, dass
ich gekommen bin.«
12
Der Kerl, der in mein Heim eindrang, war außer mit Blumen, die meiner Witwe schmeicheln sollten, auch mit einer Mappe voll belangloser Fotokopien und ande rer Papiere bewaffnet, die er auf dem Wohnzimmertisch ausbreitete. Er war also immerhin gerissen genug, nicht direkt sein Ziel anzusteuern, nämlich eine Witwe in ihrer Trauerzeit zu verführen, und hatte vorsichtshalber ein ganzes Bündel Vorwände mitgebracht.
Zerstreut sichteten die beiden die Papiere. Meine Wit-we versuchte ein wenig darin zu lesen, während sie bei sich dachte:
»Gleich schenke ich schon mal Wein ein. Sonst muss ich mich tatsächlich noch ernsthaft mit diesen langwei ligen Akten befassen.« Sie füllte zwei Gläser, und der Mann schob die Papiere beiseite. Dann lockerte er die Krawatte, hob das Glas und dachte: »Ob ich jetzt gleich die Schuhe ausziehe?«
Die beiden besprachen der Form halber noch ein paar belanglose Dienstangelegenheiten, und dann begannen sie von mir zu reden. Ich war schon drauf und dran gewesen, die Wohnung zu verlassen, besann mich aber anders, als sich die Unterhaltung meiner gestorbenen Person zuwandte. Der Mann bedauerte meinen Tod, und meine Witwe dankte ihm für seine Worte. In Wirklichkeit dachte der Kerl: »Gut, dass er tot ist«, und meine Witwe: »Er ist ein Gentleman, denkt an mich und nimmt Anteil an meinem Schicksal.«
Dann wurde beklagt, dass ich keine Unfallversiche rung gehabt hatte. Ich war angeblich gegen den Ab schluss gewesen, hatte gesagt, ein gesunder Mann brauche so etwas nicht. Jetzt wäre die Versicherung jedoch von großem Nutzen, fanden sie. Ich dachte: »Ätsch, jetzt ist nichts da, was ihr verplempern könnt.«
Der Mann untersuchte mein Bücherregal mit einer Miene, als wollte er meinen literarischen
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