Im Keller
niedrigsten, engsten Ecken, und seine Platzangst war komplett vergessen. Und dann entdeckte er etwas: eine weiße Plastiktüte mit buntem Aufdruck, eingeklemmt zwischen Dachbalken und Dachpfanne in einer Ecke zwischen Fußboden und Giebelwand.
Arthur zerrte die Tüte heraus, öffnete sie, Brigitte leuchtete hinein, und Arthur schaute - wä hrend er das Gefühl hatte, sein Herz bliebe für ein, zwei Sekunden stehen - auf einen in braunes Packpapier eingewickelten Gegenstand, der durchaus das Format der gesuchten Kladde hatte.
„Das muss es sein! Klettern wir mal r unter, ich brauch frische Luft.“
Arthur stellte sich in Carmen Elisabeths Schlafzimmer ans Fenster und begann vorsichtig, das Packpapier zu entfernen. Nur keine Spuren verwischen. Schließlich hielt er ein dickes, du nkelblaues Heft im DIN-A5-Format in der Hand. Benno, Brigitte und ein paar andere standen in der Tür und sahen ihm gespannt zu.
Als Arthur das Heft auf der ersten Seite aufschlug, hielt er den Atem an. Er erinnerte sich g enau, was zuletzt im Keller der Kirchfelds passiert war: Carmen Elisabeth hatte gegen den Schrank vor dem Kohlenkeller geklopft und ihr Ohr an den Schrank gelegt, weil sie meinte, ein Pochen von dahinter vernommen zu haben. Die letzten Worte im alten Heft waren gewesen: und dann hörte ich ...
Arthur las den ersten Satz im neuen Heft: ... eine ganz leise, kraftlose Stimme, die wimmerte: Hilfe, ich habe solche Schmerzen.
Das war sie! Das war die Fortsetzung!
„Wir haben das zweite Tagebuch gefunden!“, verkündete Arthur begeistert, und ein paar der Anwesenden klatschten sogar Beifall. Arthur dankte mit jovial erhobener Hand und fragte: „Gibt es hier im Haus ein Plätzchen, wo ich ungestört lesen kann? Und würde mir jemand einen Kaffee und was zu essen bringen? Ich hatte noch keine Mittagspause.“
„Wenn´s dich nicht stört, kannst du dich ins Bad setzen, mit dem sind wir durch“ , informierte ihn Brigitte.
Arthur begab sich eine Tür weiter ins Bad, in dem weniger Zeug herumlag, aber trotzdem niemand sauber gemacht hatte. Es roch unangenehm, und der Anblick der braunen Ränder und Flecken in Badewanne und Toilette tat seinem Magen nicht gut.
Arthur riss das kleine Fenster auf und setzte sich auf den heruntergeklappten Klodeckel, während sein Blick auf den mit Klebestreifen bedeckten Spiegel fiel. Ob in dem Heft, das er in Händen hielt, auch dieses Rätsel gelöst wurde? Plötzlich hatte er die Befürchtung, dass dieses Heft gar nicht das letzte war. Was, wenn es ein weiteres gab, und noch eins und noch eins?!
Rasch schlug er die Kladde ganz am Ende auf, und da stand kein in der Mitte abgebrochener Satz, da gab es sogar ein paar leere Seiten. Also zurück zum Anfang: Carmen hatte eine wimmernde Stimme gehört und - Brigitte brachte ihm einen Becher mit heißem Kaffee und eine Rosinenschnecke ins Bad, stellte den Kaffee auf dem schmuddeligen Badewannenrand ab, drückte ihm die Schnecke in der Papiertüte in die Hand und sagte überflüssige rweise auch noch: „Lass es dir schmecken.“
„Danke, aber jetzt möchte ich erst mal nicht mehr gestört werden.“
„Wie der Herr wünschen“, meinte sie, verbeugte sich andeutungsweise und zog leise die Tür hinter sich zu.
Arthur schüttelte den Kopf, probierte den Kaffee, bis vom Gebäck ab und vertiefte sich in Carmen Elisabeth Kirchfelds Tagebuch. Er begann von vorn.
... eine ganz leise, kraftlose Stimme, die wimmerte: Hilfe, ich habe solche Schmerzen.
Mein erster Gedanke war: er hat sie also doch eingesperrt! Mein zweiter Gedanke: verflixt, da kommt jemand die Treppe runter!
Ich hab mich so erschrocken, Theo, dass ich dachte, ich falle in Ohnmacht. Ich überleg noch, wo ich mich verstecken kann, aber da steht Clemens schon in der Tür zum Heizungskeller, starrt mich mit glasigen Augen an, als wär ich eine Erscheinung, und schreit mich an: „Was schnüffelst du hier unten rum?!“
„Also entschuldige mal“ , sage ich. „Das hier ist mein Keller, und ich wollte mir gerade ein Glas eingeweckte Kirschen -“
„Quatsch nich! Ich hab doch gehört, wie du auf dem Schrank rumgehämmert hast! Warum machst du das?!“
Ich hab hin- und herüberlegt, was ich sagen soll, aber dann ... Theo, ich bin doch seine Mutter, und er muss doch irgendwas für mich empfinden, und ich muss doch irgendwie mit ihm reden können! Und da hab ich ihm die Wahrheit gesagt.
„Clemens, Junge“ , sage ich ganz ruhig, „ich weiß, dass du Uschi im Kohlenkeller eingesperrt
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